Plato: Phaedrus

Come here, then, noble creatures, and persuade the fair young Phaedrus that unless he pay proper attention to philosophy he will never be able to speak properly about anything.

Eins führt zum anderen: Da der »Phaidros« in »Der Tod in Venedig« aus thematischen Gründen eine prominente Stellung inne hat und er außerdem für das oben auf dem Stapel der wieder einmal zu lesenden Bücher liegende »Zen and the Art of Motorcycle Maintenance« von Bedeutung ist, habe ich den Dialog wieder einmal aus dem Schrank geholt. Erklärungsbedürftig ist aber wohl, warum hier eine englische Übersetzung gelesen wurde. Ich habe während des Studiums angefangen, griechische Klassiker auf Englisch zu lesen, zuerst weil es keine halbwegs preiswerte und vollständige deutsche Aristoteles-Ausgabe gab und zudem zahlreiche der erreichbaren deutschen Übersetzungen nicht unwesentlich ein Ergebnis christlicher Lektüre sind. Da als Alternative eine weitgehend vollständige und ordentlich übersetzte englische und altgriechische Ausgabe in der Loeb Classical Library vorlag, war dies fast selbstverständlich meine Wahl. Später bin ich dann auch bei Platon auf die Loeb-Ausgabe umgestiegen, da die Schleiermacher-Übersetzung selbst in der verwässerten modernisierten Form höchstens Altphilologen Vergnügen bereitet, die ebenso leicht das Original lesen könnten, und auch die Meiner-Ausgabe das Problem der gleichzeitigen Lesbarkeit und Korrektheit nicht wirklich zufriedenstellend löst. In letzter Zeit stellt die zweisprachige Ausgabe in der Universalbibliothek von Reclam eine gute deutschsprachige Platon-Ausgabe zur Verfügung, doch kommt diese Edition nur quälend langsam voran. Jedenfalls lese ich seit dem Studium die antiken philosophischen Klassiker bevorzugt in englischen Übersetzungen, auch da mein Altgriechisch nie so gut war, dass ich die Originale auch nur einigermaßen flüssig lesen könnte.

Der »Phaidros« gehört wahrscheinlich nach dem »Symposion« zu den meist rezipierten Dialogen Platons und ist nicht nur innerhalb der Philosophie, sondern auch unter Schriftstellern seit der Neuzeit von bedeutendem Einfluss. Das liegt zum einen an der über weite Strecken vergleichsweise lockeren Diktion, zum anderen aber sicherlich auch daran, dass der philosophische Diskurs hier durch die Interaktion zwischen den Dialogpartner Phaidros und Sokrates und den Ort des Dialogs (der klassische locus amoenus) offensichtlich in einen literarischen Rahmen eingepasst ist.

Grundthema des Dialogs ist die Bestimmung dessen, was Liebe sei. Anlass ist eine Rede des Lysias über die Liebe, die Phaidros bei sich hat, als er Sokrates vor den Toren Athens trifft. Da es ein heißer Tag ist, suchen die beiden in einem den Musen geweihten Hain den Schatten auf, und Phaidros liest Sokrates die Rede des Lysias vor, von der er zuerst in höchsten Tönen schwärmt. Sokrates ist von ihr allerdings weniger angetan und entwickelt spontan zwei Gegenreden über dasselbe Thema. In einer davon findet sich die Bestimmung der Liebe als der höchsten von drei Sorten des Wahnsinns, die die Götter den Menschen eingeben. Von hier ausgehend entwickelt Sokrates die Allegorie vom Seelenwagen: Die dreigeteilte menschliche Seele gleiche einem Wagen, der von zwei Pferden gezogen werde. Das weiße, gute Pferd dränge zum Himmel und dem Reich der Ideen, das dunkle Pferd der Leidenschaft dagegen ziehe den Wagen erdwärts und hin zur konkreten Welt. Die dritte Komponente, die den Wagen lenkende Vernunft, versuche dieser beiden Tendenzen Herr zu werden und entgegen den störenden Leidenschaften den Seelenwagen hin zur Philosophie und zur Erkenntnis der Ideen zu lenken.

Anschließend wendet sich Sokrates der Kritik der zeitgenössischen Rhetorik-Lehrer zu. Es folgt eine Zusammenfassung der aus den Frühdialogen bereits bekannten Kritik an der sogenannten Sophistik, der vorgeworfen wird, sich nicht wirklich um die Erkenntnis der Wahrheit zu bemühen, sondern sich mit Vorstufen wahrer Erkenntnis zu begnügen und andere von der Hinwendung zur wirklichen Erkenntnis durch ihre Irrlehren abzuhalten. Es folgt eine Kritik des geschriebenen Wortes, wie sie ähnlich auch im berühmten Siebten Brief Platons zu finden ist, hier exemplifiziert an einem altägyptischen Mythos von der Erfindung der Schrift durch den Gott Theuth. Mit der berühmten Definition der Philosophen als »Liebhaber der Weisheit«, einem verhaltenen Lob des jungen Rhetors Isokrates und einem gemeinsamen Gebet der beiden Gesprächspartner schließt der Dialog.

Wie oft bei Platons Dialogen kann sich der halbwegs selbstständige Leser des Gefühls nicht erwehren, dass zu den verhandelten Themen noch so manches zu sagen wäre und zahlreiche der Argumente des Sokrates, die Phaidros widerstandslos schluckt, bei weitem nicht so überzeugend sind, wie sie erscheinen sollen. Da der Dialog sich selbst aber zugleich als nicht besonders ernstzunehmende intellektuelle Spielerei einordnet, stößt jede systematische Kritik ins Leere. Von daher geschieht es ihm wahrscheinlich recht, in der Neuzeit besonders häufig Schriftsteller angeregt zu haben.

Plato: Phaedrus. In: Plato in Twelve Volumes I. With an english translation by Harold North Fowler. Cambridge: Harvard University Press, 151982. Leinen, Fadenheftung, 583 Seiten. 24,– $.

Friedrich Dürrenmatt: Das Sterben der Pythia

978-3-257-23064-2 Dürrenmatts Auseinandersetzung mit dem Ödipus-Stoff. Der Text entstand zwischen 1974 und 1976 innerhalb des sogenannten Mitmacher-Komplexes, der aus dem Stück Der Mitmacher, einem umfangreichen Nachwort zum Stück und einem Nachwort und einem Nachwort zum Nachwort besteht. Die selbstgestellte Aufgabe der Erzählung besteht darin, den Ödipus aus dem Schicksalhaften ins Zufällige zu übersetzen. Ödipus wird daher nicht Opfer des Ratschlusses der Götter, sondern der delphischen Orakelpriesterin, der Pythia, die, um Ödipus von seinem Aberglauben an die Orakelsprüche zu heilen, ihm eine gänzlich unwahrscheinliche Zukunft voraussagt.

Natürlich erweist sich der Orakelspruch als ein Volltreffer, wenn auch nicht in dem Sinne, wie uns der Ödipus-Mythos durch die Sophokleische Tragödie bekannt ist. Dürrenmatt behandelt im Gegenteil diese klassische Deutung des Mythos als oberflächlichste Variante, der er eine psychologische, eine politische und eine individualistische zur Seite stellt. Das ganze ist sehr überzeugend gemacht und darf wohl als eine der originellsten und intelligentesten Auseinandersetzung des 20. Jahrhunderts mit dem Ödipus-Stoff gelten.

Friedrich Dürrenmatt: Das Sterben der Pythia. In: Der Sturz, Abu Chanifa und Anan ben David, Smithy, Das Sterben der Pythia. detebe 23064. Zürich: Diogenes, 1998. 162 Seiten. 7,90 €.

Wilfried Stroh: Latein ist tot, es lebe Latein!

stroh-latein Eine kleine Geschichte der lateinischen Sprache von den Anfängen bis in die Gegenwart liefert das Büchlein. Es zielt offensichtlich auf eine breitere Leserschaft ab und ist daher mit seinem saloppen Ton etwas oberflächlich geraten, was aber die Zielgruppe, die von lateinischer Literatur und ihren Autoren nur wenig wissen wird, nicht weiter stören sollte. Mir ist der Enthusiasmus des Autors etwas auf die Nerven gegangen, ebenso wie seine Manier, seine antikommunistische Idiosynkrasie zu thematisieren. Ein neutralerer Ton hätte dem Buch gutgetan: Es ist nicht nötig, einen Journalisten der Süddeutschen Zeitung ein Internat in Malawi »heimsuchen« zu lassen, ebensowenig den Pädagogen Herbart als »griesgrämig« zu bezeichnen, nur weil er das Argument, Latein schule das Denken, für Unsinn hält. Auch hat sicherlich Karl Marx nicht die Bezeichnung Kommunismus statt Humanismus benutzt, weil er »Angst« hatte, »ein Humanistisches Manifest […] in Latein schreiben zu müssen.« Und ganz sicher ist die Vorherrschaft des Englischen in den modernen Wissenschaften nicht »verheerend«, sondern höchstens bedauerlich oder unangemessen. Hier und an vielen anderen Stellen wäre es angebracht gewesen, wenn der Autor seinen Humor ein wenig die Zügel hätte spüren lassen.

Die historische Darstellung ist durchtränkt von einer fachlich nicht unkomischen Cicero-Begeisterung Strohs, die aber angesichts der Tatsache, dass Cicero heutzutage gewöhnlich als eine Art Schulbuch- Autor angesehen wird, als ausgleichende Ungerechtigkeit begriffen werden kann. Die historische Darstellung legt das Schwergewicht auf die römische Antike und dann wieder auf die Neuzeit. Das lateinische Mittelalter wird etwas summarisch abgehandelt und der Leser dann auf Ernst Robert Curtius’ Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter verwiesen, wo er sich allerdings gehörig umgucken dürfte, falls er hier eine Fortsetzung Strohs erwarten sollte.

Insgesamt ein inhaltlich nicht unproblematisches Buch, das aber als Einstieg ins Thema weitgehend konkurrenzlos dasteht und dem Laien wahrscheinlich nützliche Dienste leisten wird. Wer eine römische Literaturgeschichte sucht, sollte besser zur Geschichte der römischen Literatur von Manfred Fuhrmann (Stuttgart: Reclam, 1999) greifen.

Wilfried Stroh: Latein ist tot, es lebe Latein! Kleine Geschichte einer großen Sprache. Lizenzausgabe. Frankfurt/M.: Büchergilde Gutenberg, 2007. Bedruckter Leinenband, Lesebändchen, 415 Seiten. 15,90 € (nur für Mitglieder der BG).