Das Buch, mit dem sich Marlen Haushofer in die deutschsprachige Literatur eingeschrieben hat. Der bis heute anhaltende Erfolg ist wohl in der Hauptsache einer feministischen Lektüre des Buches zu verdanken, die aber nur einen der vielfältigen sich anbietenden Zugriffe darstellt.
Die Fabel des Buch dürfte weitgehend bekannt sein: Es handelt sich um den Bericht einer namenlosen Erzählerin, die sich bei einem Kurzurlaub im Gebirge unversehens von einer durchsichtigen Wand von der übrigen Welt abgeschnitten sieht, in der alle höheren Lebewesen gestorben zu sein scheinen. Weder die Existenz der Wand noch der allgemeine Tod außerhalb von ihr werden im Roman zureichend erklärt und müssen als Voraussetzung der Fiktion schlicht hingenommen werden. Den Hauptteil des Berichts, der eine Rückschau der Erzählerin nach 2½ Jahren darstellt, bildet die Beschreibung des blanken Überlebens im abgezirkelten Bereich der Wand. Die Autorin stellt ihrer Figur die notwendigsten Grundlagen zum Überleben zur Verfügung: Werkzeug, Saatgut (Kartoffeln und Bohnen), ein Gewehr mit Munition und schließlich auch eine trächtige Kuh. Zudem bekommt sie eine Katze und einen Hund als Gefährten zugesellt. Die Parallelen zum »Robinson Crusoe« sind offensichtlich, doch ist dies nicht die einzige Lesart, die das Buch anbietet.
Es lässt sich ebenso als Dystopie, Katastrophenroman, psychische Allegorie oder existentialistisches Experiment lesen; wie schon erwähnt, hat sich auch die feministische Literaturforschung den Text erfolgreich angeeignet. Der Text hält offenbar für alle diese Zugriffe ausreichendes Material bereit, ohne von seiner Autorin auf eines dieser Konzepte hin festgelegt worden zu sein. Es scheint vielmehr von seinem stofflichen Grundeinfall her geschrieben und ansonsten bewusst so offen wie möglich angelegt worden zu sein. Dies führt für manchen Leser sicher zu der unbefriedigenden Lage, dass viele Details schlicht als willkürlich gesetzt und unreflektiert erscheinen; andererseits muss man der Autorin zugestehen, dass sie aus der doch recht dünnen stofflichen Grundlage knapp 280 Seiten Text zu erzeugen verstanden hat, ohne die Geduld der Leser übermäßig zu strapazieren.
Ein ungewöhnliches Buch, das einerseits der apokalyptischen Stimmung seiner Zeit Rechnung trägt, andererseits das Thema vom Einzelnen und seiner Welt originell durchexerziert.
Marlen Haushofer: Die Wand. List Taschenbuch 60571. Berlin: List, 122009. 285 Seiten. 8,95 €.