Ségurant

Ségurant der Braune, auch der Drachen- oder Löwenritter genannt, ist ein Spätling aus dem Umkreis der Artussage, der vollständig in Vergessenheit geraten war. Der junge französisch-italienische Mediävist Emanuele Arioli entdeckte die Figur in einem wenig beachteten Buch mit Prophezeiungen des Zauberers Merlin wieder und hat anschließend in zehnjähriger Forschungsarbeit in europäischen Archiven genug Fragmente zusammengetragen, um so etwas wie einen Ségurant-Roman rekonstruieren zu können. Reclam legt nun eine neuhochdeutsche Übersetzung dieser Rekonstruktion vor.

Ségurant hat wie viele Ritterfiguren eine provinzielle Herkunft und bewährt sich zuerst bei der Löwenjagd, woher sein Beiname Löwenritter stammt. Er besiegt dann auch einige Ritter und fordert anschließend auf einem Turnier in Winchester alle Ritter der Tafelrunde heraus, wobei er sich als der stärkste Ritter des Turniers und damit der Welt erweist. Das Turnier wird aber unterbrochen durch das Erscheinen eines Drachens, der in Wahrheit der von Morgan le Fay heraufbeschworene und verwandelte Luzifer ist. Ségurant stellt sich als einziger dem Drachen und schwört, ihn zu töten; er setzt dem nun fliehenden Drachen nach. Doch wird seine Jagd nach dem Drachen niemals enden, da der Drache nur eine von der Zauberin erzeugte Vision ist.

Natürlich ist ein solcher Fund für einen Philologen wie ein Sechser im Lotto. Arioli hat seine Doktorarbeit über diese Entdeckung geschrieben und anschließend die gesammelten Bruchstücke ediert und veröffentlicht. Er möchte gerne den Drachenritter wegen des Drachenmotivs und der entfernten Ähnlichkeit der Namen mit dem Siegfried des Nibelungenliedes assoziieren, doch liegen für diese durchaus faszinierende Idee außer diesen beiden eher schwachen Indizien keine weiteren nachweisbaren Verbindungen vor.

Wie dem auch sei, handelt es sich bei dem rekonstruierten Roman um ein hübsches Seitenstück zum Sagenkreis um König Artus. Die Ausgabe bei Reclam ist sehr gut gemacht und nicht nur illustriert und kommentiert, sondern auch durch Aufsätze von Arioli und Susanne A. Friede ergänzt. Für alle, die sich für den Sagenkreis um König Artus interessieren, eine unbedingte Empfehlung.

Ségurant. Die Legende des Drachenrittes. Das vergessene Mitglied der Artusrunde. Deutsch von Andreas Jandl. Ditzingen: Reclam, 2024. Bedruckter Pappband, Fadenheftung, Lesebändchen, 288 Seiten. 38,– €.

T. H. White: Der König auf Camelot

white_camelot Wahrscheinlich haben nur sehr wenige Leser die letzte, große mittelalterliche Bearbeitung des Artus-Stoffes von Thomas Malory zugleich so ernst genommen und so respektlos behandelt wie Terence Hanbury White (1906–1964), der mit seinem vierteiligen Roman Der König auf Camelot (im Original The Once and Future King) eine interessante und witzige moderne Bearbeitung des Stoffkreises geliefert hat. Das Buch hat es im englischen Sprachraum bis in den Kanon der Schullektüre geschafft, ist in Deutschland aber – wahrscheinlich aufgrund des Erscheinungsortes – ein wenig in die Fantasy-Ecke geraten, wo das Buch nicht wirklich hingehört.

Hauptsächlich auf der Grundlage des spätmittelalterlichen Le Morte d’Arthur, aber mit offensichtlicher Kenntnis auch anderer Quellen, schreibt White einen hochmittelalterlichen Artus-Roman, der zugleich die politischen und kriegerischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts widerspiegelt. Im Kern des Romans steht Artus’ Plan, eine gerechte Gesellschaftsordnung zu erschaffen, in der nicht mehr Gewalt vor Recht geht. Aus diesem Grundthema heraus entwickelt White Artus’ persönliche Tragödie, die er bis vor die letzte Schlacht des alten Königs gegen seinen Sohn Mordred vorantreibt.

Als erste Besonderheit erscheint dabei sicherlich die ausführliche Darstellung von Artus’ Kindheit und Jugend und seiner Erziehung durch den Zauberer Merlin, der bei White rückwärts lebt und auf diese Weise das Wissen um die Zukunft der Menschheit mit in die Ausbildung des zukünftigen Königs einfließen lässt. Merlin sorgt durch vielfache Verwandlungen des jungen Artus in diverse Tiere dafür, dass er die Welt aus zahlreichen Perspektiven zu sehen lernt, was ihn später zu einem zwar nicht besonders klugen, dafür aber um so toleranteren und weiseren Herrscher werden lässt. Erst am Ende des ersten Bandes findet sich die berühmte Szene, in der Artus das Schwert aus dem Stein zieht und damit seinen Anspruch auf den Thron beweist.

Der zweite Band ist der politischen Neuordnung Englands durch Krieg und Unterwerfung gewidmet, im Zentrum des dritten Bandes stehen die Geschichte Lanzelots und die Gründung der Tafelrunde, und im vierten Band schließlich der Zusammenbruch des neu geschaffenen gerechten Staatswesens, das von den alten Kräften gegen sich selbst gewendet wird. Artus’ Vision scheitert letztlich daran, dass der gerechten Staat keine gerechten Bürger hat.

All dies ließe vermuten, dass es sich bei diesem Buch um ein schwerblütiges philosophisches Werk handelt, aber White versteht es, dem Buch durch eine konsequente Vermenschlichung der heldischen Vorkämpfer und grundlegend satirische Darstellung des Rittertums eine überraschende Leichtigkeit zu geben. Es ist Whites alles durchdringender Humor, der dieses Buch zu etwas besonderem macht. Dabei greift sein Erzähler immer wieder direkt auf die Lebenswelt seiner eigenen Zeitgenossen zurück und macht klar, dass dieses Buch über und für die moderne Welt geschrieben ist.

white_camelot_hoerbuchAlternativ zur Lektüre bietet sich eine vollständige Hörbuchfassung von Jochen Malmsheimer an. Die Lesung ist durchgehend gut, einzig in den Dialogen sind Malmsheimers Männer hier und da etwas laut. Besonders aber die älteren Ritter, Merlin und die humoristischen Passagen gestaltet er unvergleichlich. Leider ist die Lesung auf vier CD-Boxen (mit insgesamt 19 Audio-CDs) aufgeteilt, woraus sich ein Gesamtpreis von etwa 100,– € ergibt.

T. H. White: Der König auf Camelot. Vier Bücher in einem Band. Aus dem Englischen von Rudolf Rocholl. Stuttgart: Klett-Cotta, Neuaufl. 2006. Pappband, 635 Seiten. 25,– €.

T. H. White: Der König auf Camelot. Vollständige Lesung in vier Teilen von Jochen Malmsheimer. Gesamtspielzeit gut 24 Stunden. Bochum: Roof Music, 2006. 1. Das Schwert im Stein – 6 Audio-CDs – 26,90 € (UVP). 2. Die Königin von Luft und Dunkelheit – 3 Audio-CDs – 22,90 € (UVP). 3. Der missratene Ritter – 6 Audio-CDs – 26,90 € (UVP). 4. Die Kerze im Wind – 4 Audio-CDs – 24,95 € (UVP).