Jedem, der sich mit dem Thema dieses Buchs mehr als nur oberflächlich beschäftigt hat, dürfte seine überwältigende Schwierigkeit klar sein. Für seine ernsthafte Behandlung wäre nicht nur eine grundlegende Bestimmung dessen zu leisten, wonach die Frage nach dem Sinn überhaupt fragen soll, sondern auch eine Abgrenzung gegenüber allen nicht philosophischen Ansätzen, nicht nur denen der Religionen, sondern auch denen der sogenannten Esoterik. Dazu wäre eine systematische Aufarbeitung dieser Angebote notwendig, um wenigstens einige Hoffnung haben zu können, zu einer eigenständigen und wesentlich philosophischen Antwort zu gelangen. Andererseits muss die Chance, tatsächlich zu einer solchen Antwort zu gelangen, angesichts von 2.500 Jahren Philosophiegeschichte als nahezu aussichtslos eingeschätzt werden: Wäre eine allgemeingültige oder wenigstens allgemein akzeptable Antwort gefunden worden, so wäre das wohl kaum jemandem unbekannt.
Was ist also von einem knapp 160 Seiten starken Buch zu diesem Thema zu erwarten? Nichts! Und genau so ist es auch. Professor Eagleton hat sich die Mühe gemacht, eine Zeit lang alles aufzuschreiben, was ihm zur Frage nach dem Sinn des Lebens durch den Kopf gegangen ist. Besondere Sorgfalt hat er nicht walten lassen; auch sonderlich sortiert hat er es anschließend nicht. Zwischendurch regt er sich mal über reiche Prominente auf, die er allerdings hauptsächlich aus dem »Goldenen Blatt« zu kennen scheint, dann räsoniert er einige Seiten über Samuel Becketts »Warten auf Godot«, wobei er eine genaue Kenntnis des Stücks beim Leser wohl einfach voraussetzt. Dann redet er wieder ein wenig über Wittgenstein, wozu ihm etwas bei Aristoteles einfällt. Achja, dann waren da ja auch noch Schopenhauer und Nietzsche, zwei wirklich unangenehme Zeitgenossen. Und dann gibt es noch diese eine Stelle bei Wittgenstein:
Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort. Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems.
Diese kurze Passage aus dem Tractatus logico-philosophicus kann vom Leser nur dann verstanden werden, wenn er weiß, wie die Sprachtheorie des frühen Wittgenstein funktioniert: Wittgensteins Konstrukt einer Idealsprache erlaubt ausschließlich ein Sprechen über konkrete Sachverhalte einer gegenständlichen Welt. Aufgrund dieser Struktur kann mit ihr nur über die »wissenschaftlichen Fragen« (die im Tractatus auch nicht identisch sind mit dem, was man sich gemeinhin darunter vorstellt) gesprochen werden. Wenn diese alle beantwortet wäre, bliebe aufgrund der Sprachstruktur keine mögliche, unbeantwortete Frage mehr übrig. Was übrig bleibt, darüber lässt sich nicht sprechen, wenigstens nicht in Wittgensteins Idealsprache.
Und wie lautet Professor Eagletons Kommentar zu diesen Sätzen?
Wie sollen wir diese kryptischen Sätze verstehen? Wittgenstein meint wahrscheinlich nicht, der Sinn des Lebens sei grundsätzlich eine Scheinfrage, sondern nur soweit es die Philosophie betrifft. […] Alle lebenswichtigen Fragen, so glaubte er, liegen außerhalb der strengen Grenzen des Subjekts. Der Sinn des Lebens ließ sich seines Erachtens nicht sagen, wie es in einer Tatsachenaussage geschieht, und für den frühen Wittgenstein hatten nur solche Aussagen Sinn. Wir erhaschen zumindest einen Blick auf den Sinn des Lebens, wenn wir erkennen, dass er nicht zu den Dingen gehört, die eine Antwort auf eine philosophisch sinnvolle Frage sein können.
Nein, Professor Eagleton, zumindest der frühe Wittgenstein meinte bestimmt etwas anderes und wahrscheinlich nicht das, was Sie sich da zusammenfaseln. Das mag für eine Konversation auf einer Gartenparty vielleicht gerade noch durchgehen, ist aber tatsächlich ein übles Gemisch aus Halbwissen und assoziativem Geraune. Und so ist im Wesentlichen das ganze Buch. Nirgends findet sich eine auch nur einigermaßen ernsthafte Auseinandersetzung mit einer der vorgeführten Positionen, alles bleibt im Beliebigen, und ich konnte während der Lektüre den Verdacht nicht loswerden, dass Eagleton eigentlich meint, man müsse nur wieder an den lieben Gott glauben, dann wäre alles in Ordnung. Und am besten als Katholik, denn die Protestanten sind eine üble, schwarzseherische und freudlose Bande – zumindest in Professor Eagletons Welt.
Alles im allen ein ärgerliches Buch, das deutlich hinter dem selbst gesetzten Anspruch zurückbleibt.
Terry Eagleton: Der Sinn des Lebens. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Berlin: Ullstein, 42008. Pappband, 159 Seiten. 18,– €.