Johann Wolfgang Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre

Unsere Freunde haben einen Roman in die Hand genommen, und wenn dieser hie und da schon mehr als billig didaktisch geworden, so finden wir doch geraten, die Geduld unserer Wohlwollenden nicht noch weiter auf die Probe zu stellen.

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Bei Goethes »Wanderjahren« handelt es sich un­be­streit­bar um den schwierigsten Roman des Weimarer Meisters. Nicht nur die Editions- und Re­dak­tions­ge­schich­te stellt eine Herausforderung für jeden Herausgeber dar, sondern die inhaltliche Breite und formale Beliebigkeit des Buches fordern auch ein hohes Maß an Toleranz von den Lesern. Für die konkrete Lektüre hilft es auch wenig, wenn uns versichert wird, bei dem Roman handele es sich um einen frühen Vorläufer der Moderne, wenn man von Seite zu Seite mehr geneigt ist, ausnahmsweise ein einziges Mal im Leben Friedrich Gundolf zu­zu­stim­men und den Roman nicht nur stofflich, sondern auch technisch langweilig, d. h. verfehlt zu finden (»Goethe«, Berlin 101922, S. 716). Auch dass sich Goethe des höchst problematischen Charakters seines Buches offenbar bewusst war, hilft nur indirekt weiter; aber dazu später noch ein paar Worte.

Was erzählt wird, lohnt kaum der Mühe, es wiederzugeben: Wir finden den aus den »Lehrjahren« wohl bekannten Wilhelm Meister zu Anfang des Romans zusammen mit seinem Sohn Felix auf dem Weg nach Italien. Die Turmgesellschaft, die sich in den »Lehrjahren« als eine Wilhelms Geschick steuernde Vereinigung herausgestellt hatte, hat ihm für diese Reise einige merkwürdige Bedingungen auferlegt, die ihn in Bewegung halten sollen: Er darf nicht mehr als drei Tage und Nächte unter demselben Dach verbringen, muss von Station zu Station seiner Reise immer eine erkleckliche Distanz zurücklegen und darf an einen einmal besuchten Ort erst nach Jahr und Tag wieder zurückkehren. Dies liefert die natürliche Grundlage für die a­nek­do­ti­sche Reihung von Orten und Ereignissen, die die erste Hälfte des Romans weitgehend beherrscht. Im Laufe des Romans wird außerdem die auktoriale Erzählstruktur überschrieben durch eine Herausgeberfiktion, die vorgibt, es handele sich bei dem Roman eben nicht um eine Erzählung im her­kömm­li­chen Sinn, sondern um eine Auswahl aus einem ungeordneten Konvolut von Papieren, das dem Herausgeber vorliege.

Dementsprechend ist das Buch denn auch eine lose Folge von Ereignissen, Gesprächen, Reden, Briefen und Novellen, die – je weiter, desto schlechter motiviert – schlicht auf den Faden einer vollständig beliebigen Handlung aufgereiht werden. Auf der Ebene der Fabel im traditionellen Sinne er­schei­nen nur zwei Elemente als für den Roman wesentlich: Wilhelms Ausbildung zum Wundarzt – nicht zum Arzt im Sinne eines All­ge­mein­me­di­zi­ners, wie man hier und da lesen kann – und der am Ende stattfindende utopische Aufbruch einer großen Gruppe unter Leitung der Turmgesellschaft nach Amerika, wo man in einer selbstbestimmten – tatsächlich aber natürlich von den weisen Führern der Turmgesellschaft vorgegebenen – Gesellschaftsform zu leben gedenkt. Zum Glück ist der deutschen Literatur ein dritter, in einem fiktiven Amerika spielender Teil der Lebensgeschichte Wilhelms erspart geblieben.

Thematisch tritt das Buch mit großem Anspruch auf: Pädagogik, Gesellschaft, Industrialisierung, vita activa versus vita contemplativa, Vulkanismus versus Ozeanismus – dies alles und mehr wird in Gesprächen und Reden der Figuren (und damit immer zugleich auch unter in­di­vi­duel­lem Vorbehalt) diskutiert und analysiert. Hinzu kommen die beiden Spruch­samm­lun­gen der Ausgabe von 1829, die unter anderem Kleinigkeiten wie Kunst, Wissenschaft und Wissenschaften, Mathematik, Wahrheit, Poesie, Lord Byron und Laurence Sterne aphoristisch bewirtschaften. Falls der heutige Leser hier nicht einfach vor dem intellektuellen Anspruch des Buches kapituliert – denn er soll nicht nur verstehen, was hier überhaupt gesagt wird, sondern er muss es immer auch noch in den historischen Horizont der 1820er Jahre einstellen, um es angemessen wahrnehmen zu können –, so könnten ihm durchaus Bedenken kommen, ob denn ein Roman, und sei es auch ein so umfangreicher wie die »Wan­der­jah­re«, das geeignete Medium für die Erörterung so zahl- und um­fang­rei­cher Themen ist.

All dies hat zu scharfer Kritik geführt; Gundolfens haben wir oben schon zitiert, weil er aber so spitz und witzig ist, soll hier einmal mehr Arno Schmidt zu Wort kommen:

Das erste Axiom ist für heute: es gibt gar keine »Klassiker«, sondern nur »klassische Werke« (wenn man schon den albernen Begriff weiter behalten will). So ist wohl Faust »klassisch« aber Wilhelm Meisters Wanderjahre eine freche Formschlamperei mit durchschnittlichem Inhalt; und die »Prinzessin Brambilla« ist ein Kunstwerk, und »Hanswursts Hochzeit« und dergleichen, säuische Lappalien, nicht wert der Druckerschwärze. Und ich wiederhole, was ich Euch – Dir und Alice – so oft gesagt habe: es gibt keinen Dichter, der nicht besser nur die Hälfte geschrieben hätte; bei den meisten war ein Viertel schon zu viel. –

Und der zweite Satz lautet: abgesehen von Goethes wis­sen­schaft­lich­phi­lo­so­phi­schen und seelischen Defekten, hatte er als Autor noch den, daß er keinen Roman schreiben konnte. Das ist auch gar keine Schande: Wieland, Poe, Storm, Keller waren völlig unbegabt für’s Bühnenspiel, Hoffmann und Stifter für gebundene Rede aller Art, Klopstock hätte sich im Formalen auf Ode, Anekdote und gram­ma­ti­sche Gespräche beschränken sollen. Unangenehm für die Nachwelt wird so Etwas aber, wenn der Dichter das selbst nicht merkt, also Wieland sich an der Alceste versucht, Klopstock ein Epos schreibt, und Goethe die Wanderjahre »macht«.

»An Uffz. Werner Murawski«

(Und gleich der Gegensatz [zu Wieland]: bei Goethe ist die Prosa keine Kunstform, sondern eine Rumpelkiste – den »Werther« beiseite; und »Wahrheit und Dichtung«, wo allerdings ja gar kein Problem einer Stofformung vorliegt –: gewaltsam aneinandergepappte divergente Handlungsfragmente; grob an den Hauptfaden geknotete Novellen; Aforismensammlungen; Waidsprüchlein aller Art – todsicher den ungeeignetsten Personen in den Mund gelegt: was läßt er das Kind Ottilie für onkelhaft weltkundige »Maximen« in ihr Tagebuch schreiben! – Das demonstrativste Beispiel ist der »Wilhelm Meister«, zumal die »Wanderjahre«: was er sich hier, z. B. an Kapitelübergängen leistet, ist oft derart primitiv, daß ein wohlgeratener Primaner, der n bißchen was auf sich hält, sich ihrer schämen würde. Eine freche Formschlamperei; und ich mache mich jederzeit anheischig, den Beweis anzutreten (wenn ich nicht meine Arbeitskraft ernsthafteren Dingen schuldig wäre: Goethe, bleib bei Deiner Lyrik! Und beim Schauspiel!).

»Aus dem Leben eines Fauns«

Schmidt hält die Faulheit eines diktierenden Schriftstellers (»An Uffz. Werner Murawski«) für eine der Ursachen von Goethes frecher Formschlamperei, was immerhin eine bodenständig-handwerkliche Erklärung für den Zustand des Textes liefert, statt sich in poetologische Spekulationen zu verlieren.

Dagegen darf mit Sicherheit angenommen werden, dass sich Goethe über den heiklen Charakter seines Buches vollständig im Klaren war. Es gibt zahlreiche Stellen im Text, die – wie die eingangs als Motto zitierte – die Zumutungen der formalen Beliebigkeit und inhaltlichen Schwierigkeit explizit thematisieren. Goethe lässt den Erzähler immer erneut den brüchigen Aufbau und die losen Übergänge kommentieren und anmerken, dass es zu dem gerade Verhandelten noch viel zu sagen gäbe, nur sei eben hier der Ort nicht. Auch die letzten Worte des Romans (Ist fortzusetzen.) deuten auf das unendliche Projekt, von dem das Buch nur einen verschwindenden Ausschnitt liefert.

Im Gegensatz zu den beiden Hauptströmungen der Deutung bin ich heute weder geneigt, dem Roman seinen Mangel an formaler und inhaltlicher Geschlossenheit als Fehler anzukreiden, noch halte ich es für besonders überzeugend, Goethe als einen frühen, noch unsicheren Modernen zu lesen. Offensichtlich resultiert der Mangel der Form zuerst einmal aus dem ausschweifenden inhaltlichen Anspruch, dem Goethe zu genügen versucht. Doch scheint es mir zu kurz gegriffen, die bis dahin für einen Roman unerhörte thematische Fülle allein für die brüchige Form verantwortlich zu machen. Vielmehr scheint Goethe allerspätestens in den 1820er Jahren nicht mehr am Erzählen um des Erzählens willen, an der Fiktion als Fiktion interessiert gewesen zu sein. Die Fabel im traditionellen Sinne liefert ihm nur mehr ein Vehikel, mit dem er versucht, seine Weltsicht und -deutung einem breiteren Kreis des gebildeten bürgerlichen Publikums bekannt zu machen. Auch befreit die künstlerische Aufarbeitung sozialer, wissenschaftlicher und philosophischer Thesen ihn von jenen Ansprüchen an die Theorie, denen er weitgehend misstraut:

Man tut immer besser, daß man sich grad ausspricht, wie man denkt, ohne viel beweisen zu wollen: denn alle Beweise, die wir vorbringen, sind doch nur Variationen unserer Meinungen, und die Widriggesinnten hören weder auf das eine noch auf das andere.

[…]

Da nun den Menschen eigentlich nichts interessiert als seine Meinung, so sieht jedermann, der eine Meinung vorträgt, sich rechts und links nach Hülfsmitteln um, damit er sich und andere bestärken möge. Des Wahren bedient man sich solange es brauchbar ist; aber leidenschaftlich-rhetorisch ergreift man das Falsche, sobald man es für den Augenblick nutzen, damit als einem Halbargumente blenden, als mit einem Lückenbüßer das Zerstückelte scheinbar vereinigen kann. Dieses zu erfahren, war mir erst ein Ärgernis, dann betrübte ich mich darüber, und nun macht es mir Schadenfreude. Ich habe mir das Wort gegeben, ein solches Verfahren niemals wieder aufzudecken.

Da zudem im Kern der Weltdeutung der »Wanderjahre« ein Plädoyer für das Tätigsein in der Welt und gegen das übermäßige – um nicht ›maßlose‹ zu sagen – Theoretisieren und Abstrahieren steht, erschiene jede rein essayistische Behandlung der verhandelten Themen als eine Bewegung in die falsche Richtung.

Goethes Missachtung der Form sollte also gerade nicht als eine Missachtung der Kunst der Literatur verstanden werden, sondern geradezu als ihre Hochschätzung: Nur die Kunst erlaubt es Goethe, seiner Auffassung nach angemessen über die Welt und ihr Verständnis zu schreiben, ohne sich entweder in Abstraktion einer- oder Banalität andererseits zu verlieren. Dazu aber ist es zugleich nötig, die traditionelle Form zu zerbrechen (man entschuldige diese Reminiszenz an Schillers »Lied von der Glocke«) und in den Trümmern der Form  weiter zu erzählen.

Besser macht all dies das Buch aber leider nicht!

Vielleicht zum Schluss noch ein Wort zu der hier gelesenen Ausgabe. Wie oben bereits erwähnt, haben die »Wanderjahre« eine etwas komplizierte Publikations- und Redaktionsgeschichte: Es erschienen zu Goethes Lebzeiten zwei Fassungen, eine fragmentarische 1821, die notwendig wurde durch die Pustkuchensche Fortsetzung der »Lehrjahre« (ebenfalls 1821), und eine umgearbeitete und erweiterte 1829, die heute die Grundlage der meisten Ausgaben bildet. Allerdings hatte Goethe Eckermann gegenüber erwähnt, dass die beiden Spruchsammlungen der Ausgabe von 1829 in der Hauptsache aufgenommen worden seien, um den Umfang des jeweiligen Bandes abzurunden. Eckermann hat sich daher später entschlossen, die Spruchsammlungen wieder aus den »Wanderjahren« herauszunehmen, eine Praxis, der bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts die meisten Herausgeber gefolgt sind.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Redaktion der Ausgabe von 1829 eher flüchtig war und so ungewollt einige zusätzliche Brüche und fehlende Anschlüsse produziert hat. Natürlich bringt die Münchner Ausgabe, die seit einigen Jahren meine Brotausgabe der Werke Goethes ist, die »Wanderjahre« vollständig in beiden Fassungen. Doch wenn man nicht die Geduld aufbringen möchte, den Text gleich zweimal zu lesen, so bietet die Ausgabe bei Reclam so etwas wie eine integrale Fassung der beiden Versionen und ergänzt einige der aus der Ausgabe von 1829 herausredigierten, zum Verständnis aber notwendigen Teile.

Johann Wolfgang Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre oder Die Entsagenden. RUB 7827. Stuttgart: Reclam, 1982/2002. Broschur, 565 Seiten. 9,60 €.

Theodor Fontane: Effi Briest

Man hat wieder mal gelernt: aufpassen.

Fontane_EffiMeine Lektüregeschichte zu »Effi Briest« ist lang und etwas kompliziert: Es ist der erste Roman Fontanes, den ich überhaupt gelesen habe – es muss 1981 gewesen sein – und ich war bei meiner erste Lektüre alles andere als angetan. Ich war damals – beeinflusst durch die intensive Lektüre Arno Schmidts und das langsame Erobern des »Ulysses« – ein sehr formaler Leser und hatte zugleich vom 19. Jahrhundert kaum mehr als eine Ahnung. Von daher erschien mir Fontane in der Hauptsache als ein laxer, unordentlicher Erzähler, der wenig um das Gerüst bzw. die Konstruktion seiner Erzählung gab. Während des Studium begriff ich dann langsam, um was es Fontane beim Erzählen dieses Romans gegangen war und lernte von den scheinbaren formalen Schwächen abzusehen.

Noch später dann verwendete ich »Effi Briest« als Gegenfolie zu Arno Schmidts sogenannter Etym-Theorie, indem ich spaßeshalber bei dem auf den ersten Blick unverdächtigen Fontane den bewussten Einsatz von Etym-Techniken nachwies, also Schmidts Rede von der »4. Instanz« konterkarierte. Und mit der Zeit stellte sich Effi Briest dann endlich auch in die Reihe der berühmten literarischen Frauengestalten des 19. Jahrhunderts ein.

Wenn man nach einer solchen Lektüregeschichte von fünf oder sechs Lektüren aus didaktischem Anlass erneut zu einem Buch zurückkehrt, besteht immer die Gefahr, dass man enttäuscht wird, dass die Faszination des Buches ausgeschöpft scheint. Doch auch diesmal hat sich Fontane als Erzähler bewährt.

Wie bekannt sein sollte, erzählt »Effi Briest« von Schicksal der zu Anfang 17-jährigen Titelheldin, die an einen mehr als doppelt so alten Mann, einen ehemaligen Bewerber um die Gunst ihrer Mutter verheiratet wird. Effi und Geert von Instetten passen nicht sehr gut zusammen oder, um nicht ungerecht zu sein, sie finden erst nach längerer Zeit die Ebene, auf der sie miteinander statt nebeneinander her leben können. In der Zwischenzeit aber hatte Effi aus Langeweile und Neugier eine kurze Affäre mit einem anderen Mann, die nicht nur gut sechs Jahre später ihre Ehe, sondern ihr gesamtes Leben ruinieren soll. Nach der Scheidung findet sich Effi gesellschaftlich isoliert, sogar zu ihrer eigenen Tochter findet sie keinen Kontakt mehr. Und, obwohl schuldig, endet ihr Leben tragisch: Zu unangemessen an ihren Fehltritt erscheint die Härte, mit der sie von ihrer Welt abgeschlossen wird. Selbst jenen, die ihr am nächsten standen, ihren Eltern und ihrem ehemaligen Ehemann, kommen Bedenken, aber auch ihnen fehlt eine wirkliche Alternative zu dem, was sie eben tun. Es tut ihnen leid, aber was soll man angesichts der Forderungen der Gesellschaft nach Moral und Gerechtigkeit anderes machen, als der Ungerechtigkeit nachgeben?

Daher müsste natürlich einmal gründlich über die Menschlichkeit der Fontaneschen Erzählungen geredet werden: Trotz der unbestreitbaren Ungerechtigkeit, die sich in Effis Schicksal manifestiert, ist keine der Hauptfiguren (vom Apotheker Gieshübler vielleicht einmal abgesehen) ganz schuldig oder ganz und gar unschuldig. Natürlich hätten sich sowohl Instetten als auch Effis Eltern anders verhalten können und sollen, als sie es getan haben, aber Fontane bleibt misstrauisch gegenüber solchen moralischen Anforderungen an das Individuum. Auch nützt es wenig, Effi oder Crampas anzuklagen; die eine, weil sie keine wirkliche Chance hat, sich der Verführung zu erwehren (I can resist everything except temptation.), den anderen, weil er eben auch nur seiner Natur folgt und sich jederzeit über die möglichen Folgen im Klaren ist, die er resignierend in Kauf nimmt. Und so geschieht hier das Böse ohne die Bösen (den Bösen waren wir schon in Goethes Faust losgeworden). Niemand, den man nicht verstehen könnte, der nicht seine Gründe hätte, sich erst einmal um sich und erst später um die Folgen für die anderen zu kümmern. Es gehört zu den besten bei Fontane zu findenden Einsichten, wie ganz obenhin, gedankenlos und zugleich unausweichlich die Grausamkeit der menschlichen Gesellschaft entsteht.

Darüber hinaus ist mir bei der jetzigen Lektüre deutlicher als zuvor die motivische Dichte des Romans aufgefallen: Überall finden sich Ehebrühe oder außereheliche sexuelle Beziehungen, ständig wird der Leser daran erinnert, welche eine dünne Lackschicht die offizielle Moral bildet über einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die von Sexualität in den unterschiedlichsten Formen umgetrieben wird.

Und wirklich, Briest hielt mit besonderer Zähigkeit eine ganze Zeit lang an dieser Anschauung fest. Erst nach der zweiten Probe, wo das »Käthchen«, schon halb im Kostüm, ein sehr eng anliegendes Sammetmieder trug, ließ er sich – der es auch sonst nicht an Huldigungen gegen Hulda fehlen ließ – zu der Bemerkung hinreißen, »das Käthchen liege sehr gut da,« welche Wendung einer Waffenstreckung ziemlich gleich kam oder doch zu solcher hinüber leitete.

Es ist erstaunlich, wie subtil und dennoch nicht weniger deutlich Fontane die zentrale Bedeutung sexueller Verhältnisse zu thematisieren vermag, ohne dabei für die Leserinnen der Familienblätter, für die er in erster Linie schrieb, anstößig zu werden. Zugleich macht er klar, dass ihm die unverstelltere Behandlung des Themas in der zeitgenössischen Literatur durchaus bekannt ist:

… die Zwicker sei reizend, etwas frei, wahrscheinlich sogar mit einer Vergangenheit, aber höchst amüsant, und man könne viel, sehr viel von ihr lernen; nie habe sie sich, trotz ihrer fünfundzwanzig, so als Kind gefühlt, wie nach der Bekanntschaft mit dieser Dame. Dabei sei sie so belesen, auch in fremder Literatur, und als sie, Effi, beispielsweise neulich von Nana gesprochen und dabei gefragt habe, »ob es denn wirklich so schrecklich sei,« habe die Zwicker geantwortet: »Ach, meine liebe Baronin, was heißt schrecklich? Da gibt es noch ganz anderes.« »Sie schien mich auch«, so schloß Effi ihren Brief, »mit diesem ›anderen‹ bekannt machen zu wollen. Ich habe es aber abgelehnt, weil ich weiß, daß Du die Unsitte unserer Zeit aus diesem und ähnlichem herleitest, und wohl mit Recht. Leicht ist es mir aber nicht geworden. Dazu kommt noch, daß Ems in einem Kessel liegt. Wir leiden hier außerordentlich unter der Hitze.«

Ein durch und durch wundervoller Roman, der auch in sieben Lektüren nicht auszulesen ist. Ich bin schon jetzt gespannt, wann ich wieder bei ihm vorbeikommen werde.

Theodor Fontane: Effi Briest. Große Brandenburger Ausgabe. Das erzählerische Werk, Bd. 15. Berlin: Aufbau Verlag, 1998. Leinenband, Fadenheftung, Lesebändchen, 534 Seiten. 25,– €.

Theodor Fontane: Mathilde Möhring

»Ach Thilde, was unsereiner auch alles erleben muß. Und das nennen sie dann Fügungen, und man soll sich auch noch bedanken.«

Fontane_MöhringFontanes letzter Roman, obwohl er von der Länge her kaum diesen Namen verdient. Fontane ist vor der Endredaktion verstorben, so dass der Text erst 1907 aus dem Nachlass erschienen ist und das zudem in einer starken herausgeberischen Bearbeitung. Erst Ende der 60-er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde erstmals eine sich enger am Manuskript orientierende Edition gedruckt. Das alles bedeutet allerdings nicht, dass es sich um ein Fragment handelt. Man weiß zwar, dass Fontane immer ziemlich lange an seinen Text gefeilt und verändert hat, aber die Fabel ist vollständig aus- und zu Ende erzählt. Sicherlich könnte man spekulieren, dass besonders der in Westpreußen spielende Teil der Fabel noch hätte ausgeweitet werden können, aber wie Fontane gegen Ende deutlich macht, war die Kürze der politischen Karriere der Großmanns beabsichtigt.

Die Titelfigur Mathilde Möhring ist die Tochter eines früh verstorbenen Berliner Exportkaufmanns, die sich zusammen mit ihrer Mutter in kleinbürgerlichen Verhältnissen über Wasser hält, indem sie eines ihrer Zimmer an Studenten vermieten. Als der etwas verbummelte und der schönen Literatur zugeneigte Jura-Student Hugo Großmann bei den Damen Möhring einzieht, wittert Mathilde ihre Chance. Eine Erkrankung Hugos bietet den Anlass zum familiären Anschluss, und der kaum Genesene verlobt sich wie geplant mit Mathilde. Die nimmt daraufhin Hugos Leben in die Hand, treibt ihn systematisch durchs Examen und besorgt ihm anschließend eine Stelle als Bürgermeister in einem Kleinstädtchen in Westpreußen. Dort beginnt sie, mit Hilfe ihres leicht regierbaren Ehemanns erfolgreich Politik zu machen.

Doch natürlich kommt es, wie es kommen muss: Der gesundheitlich empfindliche Hugo erkältet sich gleich beim ersten scharfen Wind und kommt mit einer Lungenentzündung nieder. Zwar erholt er sich noch einmal, aber zu Ostern erleidet er aus heiterem Himmel einen Rückfall und stirbt. Mathilde, nur wenig erschüttert, kehrt zu ihrer Mutter nach Berlin zurück und bessert ihre Witwenpension auf, in dem sie Lehrerin wird.

Von Hugo Großmann wird selten gesprochen, seine Photographie hängt aber mit einer schwarzen Schleife über der Chaiselongue, und zweimal im Jahre kriegt er nach Woldenstein hin einen Kranz. Silberstein legt ihn nieder und schreibt jedesmal ein paar freundliche Zeilen zurück.

Es ist erstaunlich, dass dieser kleine Roman Fontanes nicht viel bekannter ist. Vielleicht liegt es dran, dass der Autor selbst nicht richtig warm geworden ist mit seiner berechnenden, sich kaum je ihren Gefühlen überlassenden Protagonistin. An Mathildes Karriere zeigen sich die Vorurteile, der Standesdünkel und die Enge der preußischen Gesellschaft, ohne dass Mathilde dem Leser dadurch sympathischer wird oder er sich auf sonst einem Wege mit ihr identifizieren kann. Auch jede Tragik verweigert ihr der Autor: Hugos Tod ist zwar bedauerlich, aber nicht das Ende der Welt. Mathilde weiß sich durchzuschlagen und gerät so zu einer Gegenfigur zu Effi Briest, was der Autor durch einige Anspielungen auch deutlich zu machen weiß.

Alles in allem ein kleines Meisterwerk, das ein weiteres, wichtiges Segment in Fontanes Panorama der Rolle der Frau in der preußischen Gesellschaft hinzufügt.

Ich habe hier, da der Hintergrund der Lektüre einmal mehr ein didaktischer ist, aus praktischen Gründen den von Gotthard Erler edierten Text bei dtv zugrunde gelegt, wie er auch in der Hanser-Ausgabe der Werke Fontanes abgedruckt ist. Philologisch orientierten Lesern ist aber natürlich anzuraten, den von Gabrielle Radecke edierten Text in der »Großen Brandenburger Ausgabe« (Bd. 20, Aufbau Verlag, 2008) heranzuziehen, der den Zustand des Fontaneschen Manuskript ungeschönt wiedergibt. Auch ist die Entscheidung des Deutschen Taschenbuch Verlages, die Anmerkungen der Hanser-Ausgabe unbearbeitet zu übernehmen, als eher unglücklich anzusehen, da diese nicht nur an einzelnen Stellen sachlich falsch sind, sondern zum Teil auch auf Kommentare zu anderen Texten innerhalb der Hanser-Ausgabe verweisen, die dem Leser des Taschenbuchs naturgemäß nicht verfügbar sind.

Theodor Fontane: Mathilde Möhring. dtv 13113. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 32005. Broschur, 158 Seiten. 6,50 €.

Émile Zola: Der Zusammenbruch

Wehe dem, der stehenbleibt im fortwährenden Streben der Nationen! Der Sieg gehört denen, die in der Vorhut marschieren, den weisesten, den gesündesten, der stärksten!

zola_rougonDer vorletzte Band der Rougon-Macquart ist, wie schon der Titel anzeigt, dem Ende des Zweiten Kaiserreichs gewidmet, mit dessen Beginn der Zyklus in »Das Glück der Familie Rougon« zugleich einsetzte. »Der Zusammenbruch« knüpft direkt an »Die Erde« an, an dessen Ende Jean Macquart seine gescheiterte bäuerliche Existenz hinter sich ließ und sich angesichts des bevorstehenden Kriegs gegen Preußen wieder zum Militär meldete. Auch das Ende von »Nana«, die unter den Rufen »Nach Berlin! Nach Berlin« das Zeitliche segnete, wird unmittelbar wieder aufgenommen. So liefert »Der Zusammenbruch« die Abrundung der gesellschaftspolitischen und historischen Ebene des Zyklus, während der letzte Band »Doktor Pascal« die soziologisch-biologische Ebene abschließen wird. Dabei ist Jean Macquart aber nur eine von zwei Hauptfiguren des Buches, die den Zusammenhang des Romans mit der Familiengeschichte der Rougon-Macquarts sichert, während als gleichwertige Gegenfigur Maurice Levasseur eingeführt wird. Zola braucht eine zweite Hauptfigur, um in den beiden die Zerissenheit des französischen Volks in der Zeit des Umbruchs von Zweiten Kaiserreichs zur Dritten Republik personifizieren zu können.

Der Roman ist klar in drei Teile gegliedert: Teil 1 schildert die Desorganisation der französischen Truppen im August 1870, die dazu führt, dass im Gegensatz zum geplanten Einmarsch der Franzosen in Deutschland es die alliierten deutschen Truppen sind, die erfolgreich nach Frankreich eindringen. Teil 2 ist vollständig der Schlacht um Sedan in den ersten Tagen des September 1870 gewidmet, und Teil 3 schildert die nachfolgende Gefangenschaft und verlängert die Erzählung bis zum Ende der Pariser Commune. Jean Macquarts dient als Korporal in der französischen Infanterie; Maurice Levasseur ist einer seiner Untergebenen, der zuerst massive Vorurteile gegen den bäuerlichen Jean hegt, ihn dann aber als kompetenten und um seine Soldaten besorgten Vorgesetzten schätzen lernt und spätestens während der gemeinsamen Gefangenschaft nach der Schlacht bei Sedan eine echte Freundschaft zu ihm entwickelt. Die beiden fliehen gemeinsam aus der Gefangenschaft, wobei Jean durch einen Schuss ins Bein verletzt wird. Während Jean in der Pflege der Schwester Maurices zurückbleibt, begibt sich Maurice nach Paris, um die Stadt gegen die Preußen zu verteidigen. Dort schlägt er sich auf die Seite der Pariser Commune, während Jean nach seiner Genesung zu den regierungstreuen Truppen stößt. Natürlich kommt es, wie es kommen muss: Bei der Erstürmung der Barrikaden verletzt sich Jean Maurice tödlich, und mit dem Ende der Commune endet auch Maurices Leben.

Das Buch versucht nach dem offensichtlichen Vorbild von Tolstois »Krieg und Frieden« eine Parallelführung privater Schicksale mit dem Verlauf des Deutsch-Französischen Kriegs. Beides gelingt nicht wirklich zufriedenstellend: Die Schilderung der militärhistorischen Abläufe bleibt für den Nichtfachmann oft verwirrend – dies mögen die Zeitgenossen Zolas noch anders wahrgenommen haben –, und die private Ebene erscheint oft zu konstruiert, um zu überzeugen. Insbesondere die symbolistische Überfrachtung der Freundschaft zwischen Jean und Maurice, der, um die Tragik der Geschehnisse noch zu erhöhen, auch noch eine verhinderte Liebesgeschichte zwischen Jean und Maurices Schwester Henriette hinzugefügt wird, wirkt aufgesetzt und einzig um der sentimentalen Wirkung Willen inszeniert. »So fühlt man Absicht und man ist verstimmt.«

Wichtig aber dürfte sein, dass Zola mit der militärischen und politischen Führung des Zweiten Kaiserreichs scharf ins Gericht geht: Während der Kaiser selbst zu einer kränklichen, machtlosen Figur verblasst, erweisen sich die Generäle entweder als selbstsüchtige und -gefällige Stümper oder auch als schlicht unfähig, mit den organisatorischen und militärischen Anforderungen der Lage zurechtzukommen. Für Zola erfüllt sich in der Niederlage gegen die Preußen eine notwendige Entwicklung, die ein korruptes und intrigantes Regime zu seinem natürlichen Ende bringt. Frankreich hatte aus der Sicht Zolas spätestens durch das Zweite Kaiserreich seine Führungsrolle in Europa, die es durch die Revolution von 1789 erworben hatte, verspielt. Der Roman endet daher ganz bewusst mit dem Appell, es gelte jetzt, »ein ganzes Frankreich neu zu erschaffen.«

Der Roman gehört sicherlich aufgrund der ideologischen Belastung seiner Konstruktion zu den schwächeren des Zyklus und zu denen, die rapide gealtert sind. Und er gehört ebenso sicher zu denen, die ein eher national gesinnter Franzose gänzlich anders lesen wird als ein eher philosophisch orientierter Deutscher.

Übersichtsseite zur Rougon-Macquart

Émile Zola: Die Rougon-Macquart. Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem zweiten Kaiserreich. Hg. v. Rita Schober. Berlin: Rütten & Loening, 1952–1976. Digitale Bibliothek Bd. 128. Berlin: Directmedia Publ. GmbH, 2005. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 64 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000, XP oder Vista) oder MAC ab MacOS 10.3; 256 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk.

Nadine Gordimer: Keine Zeit wie diese

Eine besondere Lektüre durch meine Teilnahme an dem Leseprojekt Gordimer Lesen, die ich zusammen mit der Lektüre des Buches vorzeitig beendet habe. Zu den Gründen, die dazu geführt haben, habe ich dort ein Posting verfasst.

Der Roman spielt hauptsächlich in den Jahren nach der Aufhebung der Apartheid und dem Wahlsieg des ANC in Südafrika. Im Zentrum scheint ein junges Ehepaar zu stehen, das aufgrund der Tatsache, dass er ein weißer Jude und sie eine schwarze Methodistin ist, vor der Revolution eine geheime Ehe geführt haben. Sie haben am Kampf gegen das Apartheids-Regime teilgenommen und beginnen nun eine bürgerliche Existenz zu führen: Er wird Universitäts-Dozent, sie arbeitet für die Staatsanwaltschaft.

Doch ist das Ehepaar nicht das eigentliche Thema des Buchs: Der Fokus der Erzählung liegt auf den gesellschaftlichen und sozialen Realitäten im nun endlich freiheitlichen Südafrika, die – wen überrascht es? – von den Idealvorstellungen der ehemaligen Revolutionäre erheblich abweichen. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden auch weiterhin von unterschiedlichen rassistischen Vorurteilen überschattet, einige der ehemaligen Freiheitskämpfer entpuppen sich als korrupte, selbstsüchtige und machtbesessene Machos, Armut und ungleiche Bildungschancen existieren immer noch und die Flüchtlinge aus den Nachbarländern werden zum sozialen Bodensatz der neuen Gesellschaftsordnung. All dies wird mit einer unterschwelligen Mischung von Zorn und Enttäuschung geschildert, wobei die Schilderungen selbst oberflächlich und ohne analytischen Zugriff bleiben; jeder bessere Zeitungsartikel dürfte detaillierter, neutraler und solider über die Sachverhalte informieren. Auch den Antrieb des Erzählens selbst reflektiert die Autorin nicht. Sie dringt zwar bis zu der Frage vor, warum die Revolutionäre denn erwartet und geglaubt hätten, dass gerade in Südafrika das Goldenen Zeitalter ausbrechen werde, statt dass sich eine der ganz gewöhnlichen Spielarten des modernen Elends einstelle, aber sie bleibt von der Frage fixiert und dringt auch hier zu keinem analytischen oder selbstkritischen Gedanken durch. Und die politische Naivität der Autorin schlägt direkt auf die Figuren durch.

Da es Gordimer wesentlich um die Darstellung der südafrikanischen Gesellschaft und nicht um die Fabel geht, bleiben die Figuren flach, die Handlung springt erratisch, folgt erst diesem und dann jenem Einfall. Es werden Nebenfiguren eingeführt, die augenblicklich und folgenlos wieder verschwinden. Es wird keinerlei Form oder Struktur erkennbar. Der Großteil der Gedanken der Figuren, wenn sie denn überhaupt welche zugeschrieben bekommen, sind trivial, die Auswahl der verwendeten Motive ist voraussehbar und langweilig. Einzig die Sprache, die Gordimer verwendet, ist sperrig (die bedauernswerte Übersetzerin tut übrigens ihr Bestes, das im Deutschen nachzubilden) und verhindert, dass sich die Leser wie in einem Trivialroman einrichten. Aber das allein genügt selbstverständlich nicht, um ein gelungenes Buch auszumachen.

Nadine Gordimer: Keine Zeit wie diese. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Berlin: Berlin Verlag, 2012. Pappband, Lesebändchen, 506 Seiten. 22,99 €.

Émile Zola: Germinal

Aber heutzutage erwache der Bergmann in seiner Grube. Es keimte dort unter der Erde wie eine Saat, und eines Tages werde man sehen, wie sie auf dem Felde aufgehe.

zola_rougonMit der  Lektüre von »Germinal« im Jahr 2007 (für eine Übersicht über die Handlung bitte diesem Link folgen) hatte mein Interesse an der Rougon-Macquart begonnen, weshalb ich etwas gezögert habe, ob ich ihn in meinem Durchgang durch den gesamten Zyklus das Buch noch einmal lesen sollte (auch weil der Roman mit etwa 600 Seiten einer der umfangreichsten des Zyklus ist) oder gleich zum 14. Band, »Das Werk«, übergehen sollte. Als eine Art Kompromiss habe ich mich dann entschieden, mir die Verfilmung von Claude Bern aus dem Jahr 1993 anzuschauen, die ich noch nicht kannte. Dann hat mir der Film aber so viel Lust auf das Buch gemacht, dass ich es gleich im Anschluss noch einmal gelesen habe. Und es hat dieser zweiten Lektüre nach nur knapp fünf Jahren sehr gut standgehalten.

»Germinal« schließt in zweifacher Hinsicht an den siebten Band »Der Totschläger« an: Zum einen ist es der zweite Roman des Zyklus, der im Arbeiter-Milieu des Zweiten Kaiserreichs spielt, zum anderen ist der Protagonist Etienne Lantier einer der Söhne der Wäscherin Gervaise Macquart, deren Geschichte »Der Totschläger« erzählt. Die Handlung spielt Mitte der 1860er Jahre im nordfranzösischen Kohlegebiet und umfasst gut ein Jahr. Der ungefähr 23-jährige Etienne, ein arbeitsloser Maschinist auf Wanderschaft, trifft zu Beginn der Erzählung in Montsou ein und bekommt durch einen Zufall Arbeit in der Mine Le Voreux. Wie bereits anlässlich der Erstlektüre gesagt, besteht der Hauptteil der Erzählung aus der Darstellung eines Streiks, der sich über Monate hinzieht und nicht nur zu massiver Verelendung der Streikenden, sondern auch zu erheblichen gewalttätigen Auseinandersetzungen führt.

Zola thematisiert in diesem Roman erstmals explizit die schweren sozialen Verwerfungen, die die Industrialisierung hervorgebracht hat, und er lässt keinen Zweifel an seiner Überzeugung, dass der Konflikt zwischen den ausgebeuteten und hungernden Massen und der dem Elend dieser Menschen mit Unverständnis gegenüberstehenden Bourgeoisie eine Umwälzung der bestehenden Gesellschaftsordnung zwangsläufig hervorbringen wird. In diesem Sinne ist auch der Titel zu verstehen: Germinal bezeichnete den Keim-Monat im französischen Revolutionskalender, in dem die Saat für die zukünftige Ernte ausgebracht wurde.

»Germinal« erweitert auch einmal mehr die stofflichen Grenzen des Naturalismus: Sowohl in der Beschreibung der unmenschlichen Arbeitsbedingungen und des sozialen Elends der Bergarbeiter als auch in der unverblümten Darstellung der Sexualität geht Zola weiter als je zuvor. Das Buch stellt einmal mehr den ungewöhnlichen künstlerischen Mut und das höchste schriftstellerische Vermögen Zolas unter Beweis. Ein weiteres Meisterwerk!

Übersichtsseite zur Rougon-Macquart

Émile Zola: Die Rougon-Macquart. Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem zweiten Kaiserreich. Hg. v. Rita Schober. Berlin: Rütten & Loening, 1952–1976. Digitale Bibliothek Bd. 128. Berlin: Directmedia Publ. GmbH, 2005. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 64 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000, XP oder Vista) oder MAC ab MacOS 10.3; 256 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk.

Émile Zola: Die Freude am Leben

»Er wird die Gicht bekommen wie der Vater, und seine Nerven werden noch zerrütteter sein als meine … Sieh doch nur, wie schwach er ist! Das ist das Gesetz der Degenerierung!«

zola_rougonMit »Die Freude am Leben«, dem zwölften Teil der Rougon-Macquart, kehrt Zola in die Provinz zurück: Die Handlung spielt nahezu ausschließlich in einem einzigen Haus des winzigen Fischerdorfes Bonneville in der Normandie. Im Zentrum steht Pauline, die Tochter des Ehepaars Quenu, das wir in »Der Bauch von Paris« als Eigentümer einer Metzgerei kennengelernt hatten. Die Quenus sind beide innerhalb von sechs Monaten verstorben und ihre jüngste, zehnjährige Tochter kommt nun unter die Vormundschaft der Familie Chanteau. Vater Chanteau hat seinen Holzhandel wegen seiner Gicht unvorteilhaft verkauft und sich mit seiner Frau und seinem Sohn Lazare nach Bonneville zurückgezogen, wo die Familie ein bescheidenes Leben von den Zinsen des verbliebenen Vermögens führt. Man nimmt die Waise Pauline auf, und mit ihr übernimmt man auch die Verwaltung ihres nicht unbeträchtlichen Erbes.

Trotz den besten Vorsätzen, das Vermögen Paulines nicht anzugreifen, stellt sich bald die erste Versuchung ein, der nachgegeben wird. Lazare, ein neurasthenischer Salon-Pessimist, wie man ihn in der Literatur des späten 19. Jahrhunderts häufig findet (noch Thomas Buddenbrook ist ein später Nachfahr der Tradition), der nicht recht weiß, was er im Leben anfangen soll und mit wechselnder Begeisterung ein Projekt nach dem anderen beginnt, will eine Fabrik zur chemischen Verwertung von Algen gründen, die in Erwartung großer Gewinne aus Paulines Vermögen vorfinanziert wird. Natürlich erweist sich das Projekt als nicht durchführbar, bzw. Lazare erweist sich als nicht hartnäckig genug, um es zu realisieren. Man trennt sich schließlich mit großen Verlusten von der Fabrik, was der Anfang vom Ende von Paulines Reichtum ist.

Zola verfolgt die Entwicklung der Familie bis einige Jahre in die Volljährigkeit Paulines hinein, wobei ihm aufgrund der bewussten Beschränkung von Personal und Örtlichkeit als handlungstreibende Motive nicht viel mehr als Krankheit, Tod und Naturkatastrophen zur Verfügung stehen. Es stellt sich beim Leser daher rasch ein Eindruck der Wiederholung ein. Hinzu kommt, dass alle Figuren recht eindimensional angelegt sind. Allein der gütigen und liebevollen Pauline wird ein einziger antagonistischer Charakterzug – ihre krankhafte Eifersucht – zugestanden, aber auch das nur, damit sie diese menschliche Schwäche glücklich und verzichtend überwinden kann. Die einzige wirkliche Überraschung liefert der Roman auf den letzten beiden Seiten, alles andere ist mehr oder weniger aus der einmal gewählten Konstellation der Erzählung vorhersehbar.

So kann ich mich nur der allgemeinen Einschätzung anschließen, dass es sich bei »Die Freude am Leben« um einen der schwächeren Romane des Zyklus handelt; derzeit mag ich nicht entscheiden, ob er oder »Ein Blatt Liebe« das Schusslicht bildet.

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Émile Zola: Die Rougon-Macquart. Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem zweiten Kaiserreich. Hg. v. Rita Schober. Berlin: Rütten & Loening, 1952–1976. Digitale Bibliothek Bd. 128. Berlin: Directmedia Publ. GmbH, 2005. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 64 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000, XP oder Vista) oder MAC ab MacOS 10.3; 256 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk.

Edith Wharton: The House of Mirth

978-0-940450-31-8Dieser 1905 erschienene Roman war der erste bedeutende Erfolg Edith Whartons als Schriftstellerin und lange Zeit wohl einer der meistgelesenen Romane der USA. In Deutschland ist es Wharton nie recht gelungen, aus dem Schatten des bedeutenderen Henry James herauszutreten, auch wenn zahlreiche ihrer Bücher ins Deutsche übersetzt wurden. Der Titel dieses Buches zitiert eine Stelle aus dem Prediger Salomon:

7.4 The heart of the wise is in the house of mourning; but the heart of fools is in the house of mirth. (Das Herz der Weisen ist im Klagehause, und das Herz der Narren im Hause der Freude. (Luther, 1912))

Erzählt werden gut zwei Jahre aus dem Leben der jungen Lily Bart, die aus der Schicht des New Yorker Geldadels des ausgehenden 19. Jahrhunderts stammt. Ihr Vater ist bankrott gegangen und verstorben und auch ihre Mutter lebt seit einiger Zeit nicht mehr. Lily wurde von einer Tante ins Haus genommen, die Lilys schmales Einkommen aus dem Erbe aufstockt, um es ihr zu ermöglichen, ein standesgemäßes Leben zu führen und einen Mann zu finden, der ihr auch zukünftig das luxuriöse Leben bieten kann, an das sie gewöhnt ist. Lily versteht auch sehr gut, dass dies ihr einziges realistisches Lebensziel ist, auch wenn sie die Gesellschaft, in der sie sich bewegt  wegen deren Hohlheit und Geistlosigkeit verachtet. Verliebt ist Lily dagegen in den Rechtsanwalt Lawrence Selden, der aber als Ehemann aufgrund seiner mangelhaften finanziellen Verhältnisse nicht ernsthaft in Betracht kommt. Dennoch verdirbt sich Lily für einen Flirt mit Selden leichtsinnig ihre Chancen bei einem der besten Kandidaten für die Rolle des Ehemanns und kann sich auch danach nicht entschließen, ihre Eheschließung als das Geschäft anzusehen, um das es sich offenbar handelt.

Der dramatische Knoten der Handlung wird geschürzt, in dem sich Lily, die deutlich mehr Geld ausgibt , als sie zur Verfügung hat, vom Ehemann einer Freundin Geld leiht; sie ist allerdings in der naiven Annahme, Gus Trenor lege ihr eigenes Geld für sie gewinnbringend an. Als Gus für das Geld eine entsprechende freundschaftliche Gegenleistung erwartet, verweigert sich Lily ihm voller Empörung. Dies ist der Beginn ihres gesellschaftlichen Niedergangs. Sie kommt ins Gerede der Gesellschaft, ihre Tante enterbt sie faktisch, indem sie ihr gerade die Summe aussetzt, die sie benötigt, um Trenor auszuzahlen, und eine ihrer Freundinnen benutzt Lilas angeschlagenen gesellschaftlichen Ruf, um von ihren eigenen außerehelichen Eskapaden abzulenken.

In der besseren Gesellschaft unmöglich gemacht, wird Lily zuerst in die Sphäre der Aufsteiger und Neureichen verdrängt, kann sich aber auch dort nicht auf Dauer halten und muss schließlich sogar für Geld arbeiten gehen, wofür sie sich als nicht besonders geeignet erweist. Sie weigert sich trotz alledem standhaft, einige kompromittierende Briefe, die ihr die Autorin in ihrer Voraussicht zugespielt hat, zu benutzen, um ihre Rückkehr in die Gesellschaft zu erzwingen; auch zwei Rettungsversuche von Selden und dem gesellschaftlichen Aufsteiger Simon Rosedale, der Lily zwar aufrichtig liebt, dem aber jegliche Sentimentalität fremd ist, lehnt sie ab. Am Ende kommt es, wie es kommen muss: Lily steht kurz davor, die kompromittierenden Briefe doch zu verwenden, besinnt sich aber eines besseren und vergiftet sich mit einer Überdosis eines Schlafmittels.

Das Buch glänzt besonders durch die zugleich intime, präzise und ironische Darstellung der Oberen Zehntausend der amerikanischen Ostküste. Doch kann die Figur Lily Barts nicht vollständig überzeugen: Einerseits teilt sie mit Lawrence Selden die ironische Distanz zu ihrer eigen Gesellschaftsschicht, andererseits wird an keiner Stelle klar, woraus sich dieses distanzierte Bewusstsein speist. Die Ursache ihrer Schwierigkeiten, die Ehe schlicht als ein Geschäft anzusehen, scheint eine Art moralischer Vorbehalt zu sein, wobei letztlich unklar bleibt, worin dieser Vorbehalt bestehen soll. Damit sie das ihr zugedachte Schicksal durchleiden kann, wird sie von ihrer Autorin zu einer High-Society-Version Emma Bovarys gemacht, gleichzeitig soll sie aber als Reflexionsfigur für die ironische Distanzierungen der Autorin dienen. Beides zugleich funktioniert aber nicht in derselben Figur. Daher bleibt am Ende auch Lily Barts Scheitern unglaubwürdig: Wäre sie der selbstständige Geist, als der sie erscheint, so würde sie ihr gesellschaftliches Scheitern zu einem neuen Leben abseits ihrer alten Bekanntschaften führen. Wäre sie das naive Opfer, als das sie erscheint, so bleibt es unverständlich, dass sie sich nicht jener Briefe bedient, um endgültig ihre Rolle in jener korrumpierten Gesellschaft zu spielen, die sie so dringlich zu spielen wünscht und für die sie – so wenigstens behauptet es die Autorin – aufgrund Vererbung und Erziehung prädestiniert ist. Angesichts dieser einander widersprechenden Tendenzen, weiß die Autorin am Ende keinen anderen Rat, um ihre Fabel zum Ende zu bringen, als in triviale Sentimentalität zu flüchten. So fehlt es dem Buch bei all seinen Qualitäten doch an Konsequenz und besonders seinem Ende an Originalität, um zu den wirklich großen Gesellschaftsromane gezählt werden zu können.

Edith Wharton: The House of Mirth. In: Novels. New York: Library of America, 82008. Leinen, fadengeheftet, Lesebändchen. 347 von insgesamt 1331 Seiten. Ca. 31,– €.

Émile Zola: Paradies der Damen

Mouret hatte nur eine einzige Leidenschaft: sich die Frau zu unterwerfen. Er wollte, daß sie in seinem Hause Herrscherin sei, er hatte ihr diesen Tempel erbaut, um sie dort in seiner Gewalt zu haben. Seine ganze Taktik bestand darin, sie mit galanten Aufmerksamkeiten zu benebeln, einen schimpflichen Handel mit ihren Begierden zu treiben, die Verwirrung ihrer Sinne auszunutzen.

zola_rougonDas »Paradies der Damen«, der elfte Teil der Rougon-Macquart, schließt inhaltlich unmittelbar an den vorherigen Band »Ein feines Haus« an: Octave Mouret, der am Ende von »Ein feines Haus« seine Ambitionen damit gekrönt hatte, dass er durch die Heirat mit Clara Hédouin in den Besitz eines Ladengeschäfts gekommen war, ist nach dem Tod seiner Frau der unumschränkte Herrscher eines wachsenden Kaufhaus-Imperiums. Das Paradies der Damen nimmt zu Beginn des Buches – der Roman spielt Mitte der 1860-er Jahre – bereits mehrere Häuser ein, und Mouret plant schon die nächste Erweiterung, für die ihm nur noch das nötige Kapital fehlt. Eine der Ebenen des Buches wird die stetige Vergrößerung des Kaufhauses sein, das am Ende nicht nur einen kompletten Häuserblock umfassen, sondern auch den traditionellen Kleinhandel im Quartier vernichtet haben wird. Mouret verkörpert für Zola den neuen, kommenden Typus von Kaufmann, der seine Gewinne durch kleine Margen bei gewaltigen Umsätzen erzielt. Zola beschreibt hier die Heraufkunft der modernen Konsumwelt.

Im Zentrum des Romans steht aber nicht Octave Mouret, sondern Denise Baudu, die sprichwörtliche Unschuld vom Lande, die mit ihren beiden jüngeren Brüdern nach dem Tod ihrer Eltern nach Paris kommt, um bei einem Onkel Unterkunft und Arbeit zu finden. Dieser Onkel Baudu ist einer jener altmodischen Kleinhändler, deren Existenz durch Mourets Kaufhaus bedroht wird. Er kann für seine Verwandten auch kaum etwas tun, so dass sich Denise genötigt sieht, eine Stelle beim Konkurrenten Mouret anzutreten. Damit bahnt Zola das erzählerische Rückgrat des Romans an, das eine durch und durch triviale Liebesgeschichte zwischen Denise und Octave bildet. Octave, seit dem Tod seiner Frau wieder zum Lebemann geworden, dessen oberstes Ziel im Leben die Ausbeutung der Frauen durch sein Kaufhaus ist, verliebt sich in Denise, von der er annimmt, sie sei wie all die anderen kleinen Verkäuferinnen seines Ladens leicht und preiswert zu haben. Natürlich bewährt sich Denisens Tugend auf das Beste, sie macht Karriere unter der halb wohlwollenden, halb leidenden Protektion ihres Chefs, wird zum guten Engel der Belegschaft und am Ende so notwendig geheiratet, wie es sich für Schnulzen dieser Art gehört.

Es ist offensichtlich, dass Zola nach den beiden gesellschaftskritischen und scharf satirischen Romanen »Nana« und »Ein feines Haus« ein Gegenstück liefern wollte, das seinen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen sollte. Nicht nur macht Zola mit dem »Paradies der Damen« deutlich, dass er nicht fortschrittsfeindlich gesinnt ist und die Notwendigkeiten der Entwicklung anerkennt und ihre Vorzüge begrüßt, sondern er liefert auch en passant den Beweis, dass er durchaus in der Lage ist, eher traditionelle und gemäßigte Romanware zu erzeugen. Wie sooft, wenn das erzählerische Grundgerüst eines seiner Bücher etwas dünn gerät, exzelliert Zola in den Beschreibungen und bei den Nebenfiguren: Das Leben und Treiben im Kaufhaus, die verschiedenen Charaktere des Personals und der Kundschaft, die architektonische Entwicklung des Hauses und nicht zuletzt die Konkurrenten Mourets liefern ein breites Panorama des Pariser Handels jener Jahre. Dabei ist Zola an keiner Stelle blind für die von der Entwicklung hervorgerufenen Härten und Ungerechtigkeiten, doch sein letztes Bekenntnis in der Sache legt er seiner tugendhaften Heldin in den Mund:

Mein Gott, welche Qualen! Weinende Familien, auf die Straße gesetzte Greise, all die ergreifenden Dramen des Untergangs! Und sie konnte niemanden retten, und es war ihr bewußt, daß das alles gut war, daß dieser Dunghaufen von Elend nötig war für das Wohlergehen des künftigen Paris.

Übersichtsseite zur Rougon-Macquart

Émile Zola: Die Rougon-Macquart. Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem zweiten Kaiserreich. Hg. v. Rita Schober. Berlin: Rütten & Loening, 1952–1976. Digitale Bibliothek Bd. 128. Berlin: Directmedia Publ. GmbH, 2005. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 64 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000, XP oder Vista) oder MAC ab MacOS 10.3; 256 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk.

Douglas Adams: The Ultimate Hitchhiker’s Guide to the Galaxy

The function of art is to hold the mirror up to nature, and there simply isn’t a mirror big enough.

Adams-Hitchhickers-GuideDie fünfbändige Hitchhiker-Trilogie ist ein gutes Beispiel dafür, dass man originelle Köpfe beinahe überall finden kann, insbesondere auch in allen Sparten der Literatur. Douglas Adams gehört zu jenen Talenten, denen es gegeben ist, mit ihrem Humor einem breiten Publikum zu gefallen und sich gleichzeitig eine ganz und gar eigenständige Perspektive auf das Leben, das Universum und alles andere leisten zu können. Kurz und mit den Worten Friedrich Dürrenmatts gesagt: Douglas macht Kunst dort, wo sie niemand erwartet, und viele seiner Leser oder Zuhörer werden es nicht einmal bemerken.

Zur Fabel der fünf Bücher muss ich wahrscheinlich nicht viel erzählen, weil sie einerseits durch Filmfunkundfernsehen in den Grundzügen so bekannt seine dürfte, dass es nur eine unnütze Wiederholung wäre, und sie andererseits für den Gehalt der Bücher so wenig zur Sache tut, dass es der Mühe nicht lohnt. Die Abenteuer Arthur Dents, der als beinahe einziger Mensch von der Zerstörung der Erde verschont bleibt, nur um in den unermesslichen Weiten des Alls genau das ins Gigantische gespiegelt zu finden, was er auf der Erde hinter sich gelassen hat. Douglas schreibt daher auch nur äußerlich Science Fiction; tatsächlich, und das ist die Grundlage seines Erfolgs, liefert er eine gut gelaunte Satire auf die Existenz jener Spezies, die die Erfindung von Digitaluhren für eine große Sache hält. Dass es, würde Douglas heute schreiben, Smartphones oder Tablet-Computer wären, tut der Sache keinen Abbruch.

Beim Wiederlesen aller fünf Romane innerhalb relativ kurzer Zeit (was immer eine etwas unangemessene Rezeption ist bei Büchern, die über eine lange Zeitspanne hinweg entstanden sind) fällt auf, dass sie nicht durchweg das Niveau halten. Besonders der vierte Band fällt ab, da ihm ein starkes erzählerisches Rückgrat fehlt. Der fünfte Band dagegen macht einiges wieder wett, da Douglas hier nicht nur der nahtlose Anschluss an den Beginn der Trilogie gelingt, sondern er auch die Thematik der Zeitreise, mit der er durch die ganze Serie hindurch spielt, auf einen absurden Höhepunkt treibt. Dennoch bleibt der Eindruck, dass die ersten drei Teile durchaus hätten für sich bleiben können.

Insgesamt eine durchweg positive Wiederbegegnung.

Douglas Adams: The Ultimate Hitchhiker’s Guide to the Galaxy. Kindle-Edition, 2010. 1251 KB. 10,58 €.