Eine bildungspolitische Polemik gegen die Strukturreformen der Universitäten, der in sehr weiten Teilen zugestimmt werden kann. Liessmann zeigt die Schwächen der Hochschulreformen der letzten Jahre gründlich auf, kritisiert mit guten Gründen den Quantifizierungswahn bei der Beurteilung von Forschung und Lehre, der sich in völlig nichtssagenden Ranglisten manifestiert, die dann der Vergabe von Geldern zugrunde gelegt werden. Das Buch nimmt je länger, desto mehr an Fahrt auf und ist besonders im letzten Teil höchst vergnüglich zu lesen. Dass Liessmann selbst Universitätsprofessor ist und daher in weiten Teilen pro domo argumentiert, braucht einen nicht zu stören.
Mangelhaft bleibt das Buch im Wesentlichen aufgrund folgender Umstände:
1. Jedem Akademiker – gleich ob ehemalig oder aktiv – ist klar, dass sich eine ähnlich schmissige Kritik auch gegen jegliche andere Verfasstheit von Universitäten führen lässt. Wenn Liessmann etwa die heutigen Universitäten dadurch vorführt, dass er sie an den Blaupause des Humboldtschen Universitätsideals misst, so ist dagegen natürlich nur zu sagen, dass es niemals und zu keiner Zeit tatsächlich eine Universität gegeben hat, die diesem Ideal genügt hätte. Auch hat nie und nirgends je eine Studentenschaft existiert, die der Humboldtschen Vorstellung auch nur annähernd nahe gekommen wäre. In diesem Sinn bleibt Liessmanns Polemik beliebig.
2. Es ist immer billig, eine Polemik gegen bestehende Missstände zu schreiben, da die Polemik sich der wesentlichen Aufgabe konstruktiver Kritik entzieht. Die Polemik versucht nicht zu begreifen, warum sich die Dinge in einem Prozess befinden, sondern sie tut so, als sei das Überwundene erhaltenswert gewesen und als müssten wir nur dorthin zurück, damit alles in Ordnung ist. Liessmann weiß es als Universitätsprofessor, noch dazu einer geisteswissenschaftlichen Disziplin, besser, sagt das aber nicht. Natürlich versuchen die Reformen, etwas zu leisten, was das alte System nicht leisten konnte. Und wie immer ist dieser Versuch als Teil des historischen Prozesses fehlbar. Aber auf exakt die gleiche Weise ist der durch die Reform überwundene Zustand entstanden und exakt deshalb wird er zurückgelassen. Es mag sogar so sein, dass der jetzige Zustand dem davor in wesentlichen Punkten unterlegen ist, er ist ihm aber in anderen auch überlegen, sonst würde er nicht existieren. Kritik – im Gegensatz zur Polemik – macht es sich zur Aufgabe, zuerst einmal zu begreifen, warum das Faktische entstanden ist, und macht dann Vorschläge, wie es sich verbessern lässt. Liessmann teilt nur aus, ohne eine andere Alternative anzubieten, als eine idealistische Berufung auf eine sehr vage Vorstellung von Aufklärung, die er noch dazu durch einen Nietzscheanischen Fleischwolf dreht. Das ist zwar witzig, bleibt aber substanzlos.
Wer etwa feststellt,
Fraglos könnte man für dieses zentrale Bestimmungsstück der Humboldtschen Universität, die Einheit von Lehre und Forschung, zeitgemäße Realisationsformen finden, die dem komplexen Organisationsgrad moderner Wissenschaften und den unterschiedlichen Wissenschaftskulturen angemessen wären.
es dann aber bei diesem Satz belässt und auch nicht eine Silbe darüber zu sagen weiß, wie denn eine solch »zeitgemäße Realisationsform« aussehen könnte, bleibt bei aller intellektuellen Finesse letztlich am Stammtisch sitzen.
Unter den genannten Einschränkungen eine flotte und vergnügliche Lektüre für all jene Unglücklichen, die sich mit der akademischen Welt herumzuschlagen haben.
Konrad Paul Liessmann: Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft. Piper Taschenbuch 5220. München: Piper, 42010. 175 Seiten. 8,95 €.