Jane Austen: Vernunft und Gefühl

Heute vor 200 Jahren verstarb Jane Austen nach einer kurzen, aber durchaus erfolgreichen Karriere als Schriftstellerin im Alter von nur 41 Jahren. In diesem Gedenkjahr legt Manesse eine Neuübersetzung ihres ersten veröffentlichten Romans “Sense and Sensibility” (1811) vor. Zu Inhalt und literarhistorischer Einordnung des Buches ist hier an anderer Stelle schon etwas gesagt worden, das nicht wiederholt zu werden braucht.

Die Neuübersetzung von Andrea Ott liefert einen eingängigen Text für den heutigen Markt, der sich grundsätzlich durch eine geschmeidige, glatte Sprache auszeichnet. Insofern wird sie den meisten der nicht­phi­lo­lo­gischen Leserinnen Jane Austens entgegenkommen. Ott nimmt sich aber zu diesem Zweck große Freiheiten in Wortstellung und Ausdruck heraus, die ihren Text ein deutliches Stück vom Original weiter entfernen als die von mir wegen ihrer hohen Präzision geschätzte Übersetzung von Ursula und Christian Grawe. So bezeichnet Austen zum Beispiel gleich auf der ersten Seite die zweite Ehefrau Henry Dashwoods mit den Worten “by his present lady”, also gerade nicht als “his second wife”. Nun ist es sachlich natürlich nicht falsch, das mit „von seiner jetzigen Frau“ zu übersetzen, aber es trifft den Ton des Originals nicht; besser ist das von den Grawes verwendete Wort „Gemahlin“, das zwar altertümelnd daherkommen mag, der Stillage Austens aber eindeutig näher steht.

Dieses kleine Beispiel soll pars pro toto meine grundsätzliche Ein­schät­zung der Übersetzung Otts illustrieren und keine Kritik an deren Arbeit darstellen. Es gilt für alle Übersetzungen, dass sie immer nur in der Lage sind, höchstens auf einen oder zwei Aspekte des Originals scharf zu stellen. Wer einen inhaltlich korrekten und zugleich eingängigen Text lesen möchte, ist mit dieser Neuausgabe gut bedient; wer allerdings einen Text sucht, der ihm eine Vorstellung vom Stil und auch der Kantigkeit Jane Austens liefert, wird auch weiterhin zu der Ausgabe bei Reclam greifen.

Jane Austen: Vernunft und Gefühl. Aus dem Englischen von Andrea Ott. Zürich: Manesse, 2017. Pappband, Lesebändchen, 412 Seiten. 26,95 €.

Jane Austen: Stolz und Vorurteil

Zwar war Mr. Collins nicht gerade mit Geistesgaben gesegnet; seine Gesellschaft war ermüdend und seine Liebe zu ihr war wohl nur Einbildung. Aber immerhin war er bald ihr Ehemann. Von Männern und Ehe hatte sie nie viel gehalten; alles was sie wollte, war verheiratet sein.

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Dieser der Veröffentlichung nach zweite Roman Jane Austens gilt im englischen Sprachraum zu Recht als ihr Meisterwerk. Auch dieses Buch war in einer frühen Fassung bereits lange vor seiner Veröffentlichung 1813 entstanden; erst der Erfolg von „Verstand und Gefühl“ (1811) führte zum Druck, obwohl das Buch bereits 16 Jahre zuvor einem Verleger angeboten worden war. Die Handlung ist deutlich komplexer gebaut als in den anderen Romanen Austens, ohne dass dies zu einem Ausufern des Personals geführt hätte.

Im Mittelpunkt der etwas mehr als ein Jahr umfassenden Fabel steht die Familie Bennet, die auf dem Landsitz Longbourn lebt. Das Ehepaar Bennet hat fünf Töchter, aber keinen Sohn, was zu der damals durchaus üblichen, für die Familie aber unangenehmen Lage führt, dass der Land- und Geldbesitz der Familie bis auf 5.000 £ nach dem Tod des Vaters einem Sohn seines Bruders – Mr. Collins – zufällt. Die 5.000 £ müssen zur Versorgung von Mutter und Töchtern und für die Aussteuer der fünf Mädchen genügen. Die Töchter der Familie Bennet sind also keine gute Partien, und können nur darauf hoffen, dass sich jemand in sie verliebt, der auf eine hohe Mitgift keinen Wert legt oder legen muss.

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Die Aufregung unter den weiblichen Angehörigen der Familie Bennet ist daher groß, als in der Nachbarschaft ein reicher Junggeselle für den Sommer einen Landsitz mietet. Mr. Bingley kommt zudem nicht allein, sondern bringt seinen noch wohlhabenderen, ebenfalls noch unverheirateten Freund Fitzwilliam Darcy mit. Außerdem begleiten ihn seine beiden Schwestern, deren jüngste auf eine Ehe mit Darcy spekuliert, und sein Schwager. Aus dieser Grundkonstellation entsteht unvermeidlich die bei Austen stets vorhandene Eheanbahnungshandlung: Bingley und Jane, die älteste Bennet-Schwester, verlieben sich ineinander, doch bevor die Affäre ernst werden kann, verschwindet Bingley wieder nach London. Jane reist, von Onkel und Tante eingeladen, ihm dorthin nach, wird aber von Bingleys Schwester geschnitten und trifft Bingley vorerst nicht wieder.

Elizabeth Bennet, die zweitälteste Schwester und eigentliches Zentrum des Romans, entwickelt derweil eine starke Abneigung gegen Mr. Darcy und eine Vorliebe für den Miliz-Offizier Mr. Wickham, dem von Darcy angeblich vor einigen Jahren übel mitgespielt wurde. Im Wesentlichen dient der Roman dazu, diese beiden Verwerfungen zu überwinden und am Ende dem lesenden Publikum zwei glückliche Ehepaare zu liefern. Den ironischen Gegensatz zu dem an sich schon nicht ganz lupenreinen Happy End des Romans liefert bereits sein erstes Kapitel, in dem uns das glückliche Ehepaar Bennet vorgeführt wird: ein stoischer Philosoph, der nur an einer Stelle des Romans überhaupt in wirkliche Aufregung gerät, als er sich seinem Schwager gegenüber in Schulden wähnt, und seine stets überschwängliche, grunddumme Gattin, deren einziges und wenig subtil betriebenes Geschäft es ist, ihre Töchter unter die Haube zu bringen. Und sie sind nicht das einzige Beispiel glücklicher Ehepaare im Roman.

Es ist die die Romane bestimmende souverän-ironische Grundhaltung der Erzählerin, die ihren anhaltenden Erfolg begründet: Einerseits hat Austen nicht mehr zu erzählen als die empfindsamen Romane ihrer Zeit, andererseits verfügt sie über einen weit realistischeren und zugleich humorvolleren Blick auf die Gesellschaft ihrer Lebenssphäre, die englische Gentry. Wo man heute Richardson nur noch aus historischer oder sentimentaler Perspektive heraus goutieren kann, leben Austens Figuren immer noch mit den Lesern mit.

Wenn man sonst nichts von Austen kennt, sollte man wenigstens diesen einen Roman lesen! Er ist eines der wichtigen Vorbilder für die großen Romane des 19. Jahrhunderts.

Jane Austen: Stolz und Vorurteil. Aus dem Englischen von Ursula und Christian Grawe. Reclam Tb. 20408. Stuttgart: Reclam, 2016. Broschur, 478 Seiten. 7,95 €.

William Shakespeare: Der Widerspenstigen Zähmung

Heiraten oder Hängen bleibt sich gleich.

Shakespeare-Guenther-13Auch eines der Stücke Shakespeares, mit denen sich die moderne Kritik schwer tut, endet es doch ausnahmsweise mit einer so unübersehbaren, platten und chauvinistischen Moral, dass es für den kritischen Menschen von heute das ganze Stück ruiniert. Da ist es doch einmal besser, kein Intellektueller zu sein und es so zu machen, wie das Publikum, das sich an der gut gemachten Komödie erfreut und Kätchens das Stück beschließende Predigt schlicht achselzuckend auf sich beruhen lässt. Denn gut gemacht ist das Stück:

Shakespeare exzelliert hier in der Parallelführung zweier Handlungsstränge. Zum einen geht es um das Liebeswerben Lucentios um Bianca, zum anderen um die Erziehung ihrer eigensinnigen Schwester Katharina durch den ihr frisch angetrauten Petruchio. Lucentio ist ein junger Mann aus Pisa, der nach Padua zum Studium kommt. Gleich und auf Anhieb verliebt er sich aber in Bianca, die Tochter Baptistas, und um sie umschmeicheln zu können, lügt er sich als Lehrer verkleidet in Baptistas Haus. Baptista allerdings hat ein dringenderes Problem, als die liebliche Bianca an den Mann zu bringen: Biancas ältere Schwester Katharina ist als unverträgliche Zanknudel verschrieen. Um sie aus dem Haus zu bekommen, verhängt Baptista das Gebot, dass Bianca erst nach der Vermählung Katharinas an die Reihe komme.

Da trifft es sich gut, dass bei einem der Bewerber um Biancas Hand ein alter Freund eintrifft: Petruchio, gerade Erbe des väterlichen Reichtums geworden, sucht eine Frau zur Ergänzung seines Vermögens und Haushalts. Ihm ist nicht bange vor Katharina und ihren Launen und der Überzeugung, schon Schlimmeres durchgestanden zu haben als ein bisschen Zank. So wirbt er um Katharina bei ihrem Vater, teilt dann seiner Braut in spe in einem kurzen Wortgefecht seine Absichten mit und verabschiedet sich in Geschäften nach Venedig. Am nächsten Sonntag taucht er erst kurz vor der Trauung in einem unmöglichen Aufzug auf, lässt sich unter unmöglichem Benehmen trauen und verschwindet mit seiner Frau umgehend aus Padua.

Während nun in Padua für die Bewerber Biancas der Weg frei ist, wird uns im Hause Petruchios Katharinas Erziehung vorgeführt: Der Ehemann benimmt sich ärger als seine Frau es je könnte und traktiert sie gleichzeitig durch Essens- und Schlafentzug. Dies Spielchen treibt er solange, bis Katharina sich in die Machtverhältnisse fügt, zu allem Ja und Amen sagt und als die Klügere ihrem Ehemann, dem sie nun einmal ausgeliefert wurde, endlich nachgibt. Die letzte Probe liefert dann ein Fest, das zugleich drei Hochzeiten feiert: Die Katharinas und Petruchios, die Biancas und Lucentios und eine weitere, die der Symmetrie wegen benötigt wird. Hier führt Petruchio seinen Sieg über Katharina öffentlich vor, indem er – im Gegensatz zu den anderen Ehemännern – in der Lage ist, seiner Ehefrau geradewegs Befehle zu erteilen, ohne irgendeinen Widerstand bei ihr zu erregen. Das ganze gipfelt in eben jener schon erwähnten Moralpredigt Katahrinas über die Rolle der Ehefrau als gehorsame Untertanin und Dienerin ihres Ehemannes.

Man kann nun versuchen, mit diesem Schluss auf ganz verschiedene Weise fertig zu werden: Man kann ihn ironisieren – was nicht das Schlimmste ist, was die Tradition mit Shakespeares Stücken so getrieben hat –, man kann ihn kritisieren – was etwa auch der Übersetzer Frank Günther tut –, man kann ihn als dramaturgische Notwendigkeit begreifen – schließlich ist es die Aufgabe des Dramas, die Harmonie der Bühnengesellschaft wiederherzustellen – oder man kann ihn schlicht auf sich beruhen lassen – was klugerweise die meisten Zuschauer tun. Und doch ist es bemerkenswert, dass Shakespeare, dessen Stücke in den meisten Fällen von platten moralischen Belehrungen so angenehm frei sind, gerade dort, wo er einmal auf gut einer Seite die offizielle Moral seiner Zeit unverstellt zu Wort kommen lässt, uns gleich ganz und gar unmodern erscheint. Ob er überhaupt berühmt wäre, wenn er geschrieben hätte, was er wirklich dachte?

William Shakespeare: Der Widerspenstigen Zähmung. Übersetzt von Frank Günther. Zweisprachige Ausgabe. Gesamtausgabe Bd. 13. Cadolzburg: ars vivendi, 2002. Geprägter Leineneinband, Fadenheftung, zwei Lesebändchen, 304 Seiten. 33,– €.

Jane Austen: Verstand und Gefühl

austen-verstand-gefuehlDer erste veröffentlichte Roman Jane Austens, nachdem sie viele Jahre nur für die Schublade geschrieben hatte. Es handelt sich um eine scharfe und intelligente Parodie des zeitgenössischen empfindsamen Romans, nicht ohne Schwächen im moralischen Abschluss, die aber durch das gnadenlos ökonomische Bild der englischen Gesellschaft und einen beißenden Spot der Erzählerin mehr als aufgewogen werden.

Die Handlung sollte auch in Deutschland aufgrund der Verfilmungen im Großen und Ganzen bekannt sein: Die Schwestern Elinor und Marianne Dashwood werden zusammen mit ihrer Mutter und einer noch jüngeren Schwester durch den unglücklich frühen Tod des Vaters mit einer nur gerade so ausreichenden Versorgung zurückgelassen. Ihr Halbbruder John, der der Haupterbe des väterlichen Vermögens ist, wird von seiner Frau von dem väterlichen letzten Wunsch, er möge sich um seine Schwestern kümmern, abgebracht. So sind die jungen Frauen zwar in bescheidenem Umfang finanziell abgesichert, auf eine Ehe haben sie bei ihrem geringen persönlichen Vermögen aber nur Aussichten, falls sich zufällig ein vermögender Herr in sie verlieben würde. Bald stellen sich zwei potenzielle Bewerber ein, die sich aber beide als anderweitig engagiert erweisen. Der sich für Elinor interessierende Edward, ein Bruder von Johns Frau, ist bereits verlobt, und Willoughby, der Marianne intensiv den Hof macht, verschwindet eines Tages nach London, wo er sich später als der Verlobte eines reichen, adeligen Fräuleins erweisen wird.

Warum und auf welche Weise es dennoch gut ausgeht, braucht hier nicht erzählt zu werden und ist für die Qualität des Romans auch eher unerheblich. Wesentlich ist dagegen der charakterliche Gegensatz der beiden Schwestern, den schon der Titel in zwei Schlagwörtern zusammenfasst: Elinor hat ihre Gefühle weitgehend unter Kontrolle, versucht den Forderungen der guten Gesellschaft nachzukommen, sieht ihre Zukunftsaussichten stets realistisch, wagt wenig zu hoffen etc. Marianne dagegen ist das Muster der empfindsamen Protagonistin: sich ganz ihren Gefühlen überlassend, verächtlich gegenüber der gesellschaftlichen Höflichkeit, ideologisch beschränkt bis zur Dumpfheit (man kann nur einmal lieben, wahre Liebe ist absolute Seelenharmonie und ähnlich hochtrabender Pubertätsunfug), unfähig zu einer differenzierten Wahrnehmung ihrer Umwelt etc. Beide Schwestern werden durch den Verlauf des Romans in gewisser Weise reformiert, wenn auch die Besserung Mariannes deutlicher ausfällt als die ihrer Schwester.

Diese Wandlungen finden vor dem Hintergrund einer harschen und ironischen Beschreibung der englischen besseren Gesellschaft statt: Hier regiert ausschließlich das Geld, und am erfolgreichsten sind jene Dummköpfe, die genau dieses Teil des menschlichen Miteinanders begreifen und sonst nicht viel mehr. Kaum jemand genügt den Bildungsansprüchen, die insbesondere von Elinor verkörpert werden; hat man nicht Kinder oder Klatsch als Thema, muss man sich ins Kartenspiel flüchten, wenn man einander nicht anöden möchte. Und die meisten Figuren sind von einer zwischenmenschlichen Gleichgültigkeit, dass man schreien möchte. Natürlich sind dies alles Karikaturen, doch die Variationsbreite und die nonchalante Boshaftigkeit der Erzählerin machen diese Charaktere zu einem reinen Vergnügen. Wie sooft im Roman des 19. Jahrhunderts spielt sich das Wesentliche im Hintergrund ab.

Allen, die Jane Austen noch nicht gelesen haben, sei die präzis und mit viel trockenem Humor übersetzte Ausgabe bei Reclam empfohlen.

Jane Austen: Verstand und Gefühl. Aus dem Englischen von Ursula und Christian Grawe. Reclam Tb. 20409. Stuttgart: Reclam, 2016. Broschur, 466 Seiten. 7,95 €.

William Shakespeare: Was ihr wollt

Jetzt geht’s zu End, die ganze großspurige große Welt wird ein salbaderndes Narrenhaus!

Shakespeare Guenther 08Im Jahr eines Shakespeare-Jubiläums soll man nach Möglichkeit auch Shakespeare lesen! Fangen wir also an: Bei „Was ihr wollt“ handelt es sich – wie schon der Titel erahnen lässt – um eine von Shakespeares leichten Komödien, die versuchen, einen möglichst breiten Publikumsgeschmack zu treffen. Im Vordergrund stehen daher Spaß und Klamauk, Wortspiele und Liebes-Gedöns. Als Gegengewicht wird ein alternder, zum Narren verkommener Philosoph mit in die Handlung verwickelt, und weil man dann immer noch nicht auf die notwendige Länge kommt, stecken wir noch eine kleine Verwechslungsgeschichte mit Zwillingen dazu.

Die Handlung ist im Grunde diese: A liebt B, B liebt C, C liebt A. D liebt heimlich auch B, wird aber dafür von E, F und G – die letztern beiden Saufkumpane, von denen G, um die Verwirrung komplett zu machen, es auch noch auf B abgesehen hat – auf den Arm genommen. C ist eigentlich eine Frau, hat sich zur Sicherheit aber als Mann verkleidet, da sie als Schiffbrüchige (beinahe hätte ich geschrieben ‚Alleinerziehende‘) im fremden Land – einem vollständig erfundenen Illyrien – leben muss. Verkleidet als Mann gleicht sie zum Verwechseln ihrem Zwillingsbruder C1. C und C1 glauben einander wechselseitig ertrunken. Den Rest kann sich jeder leicht selbst ausdenken, es kommt nicht so sehr aufs Detail an. Die Hauptsache ist ein üppiges Hin und Her, das ausreichend Gelegenheit zu gewollten und ungewollten Missverständnissen, Wortwechseln, Streitereien und Verwechslungen liefert, die sich schließlich alle durch eine, in diesem Fall sogar zwei Hochzeiten auflösen lassen.

Dieser weitgehend schematisierte Klamauk ist natürlich dadurch geadelt, dass er von Shakespeare stammt. Die Qualität der Wortspiele ist hoch, hier und da fällt sogar ein echter Gedanke dabei ab. So darf der neben der eigentlichen Handlung herlaufende Narr Feste wenigstens halbwegs Anspruch auf Originalität machen. Anlass für diesen speziellen Klamauk war eine Art von englischem Karneval, der um die Weihnachtszeit gefeiert wurde und dessen Höhepunkt auf den Dreikönigstag – der Twelfth Night nach Weihnachten; daher der englische Haupttitel des Stücks – fiel.

Es sind aber gerade die Wortspiele, die es dem Übersetzer schwer machen: Frank Günther, dessen erklärtes Ziel es ist, eine spielbare Übersetzung zu liefern, die dem heutigen deutschen Publikum einen ähnlichen Eindruck vermittelt wie das Original den Zeitgenossen Shakespeares, macht aus der Not eine Tugend und erfindet Dialoge zum Teil vollständig neu, da sich die englischen nicht ins Deutsche retten lassen. In den umfangreichen Anmerkungen werden die entsprechenden Entscheidungen vom Übersetzer ausführlich dokumentiert und erläutert; da die Shakespeare-Ausgabe Günthers immer zweisprachig daherkommt, kann sich jeder Leser auch selbst ein Bild davon machen, was der Übersetzer aus dem Original hat werden lassen.

Ein Stück, das man nicht zu ernst nehmen sollte – was offenbar, wie man dem angehängten Essay von Christa Jansohn entnehmen kann, auf deutschen Bühnen gern geschieht – und das, mit dem richtigen Tempo gespielt, auch heute noch seine Wirkung entfalten dürfte.

William Shakespeare: Was ihr wollt. Übersetzt von Frank Günther. Zweisprachige Ausgabe. Gesamtausgabe Bd. 8. Cadolzburg: ars vivendi, 2001. Geprägter Leineneinband, Fadenheftung, zwei Lesebändchen. 296 Seiten. 33,– €.

Gordon und Tapir

Meschenmoser-GordonSebastian Meschenmoser, der die ganz wundervollen Herr-Eichhorn-Bücher geschrieben und gezeichnet hat, erzählt in „Gordon und Tapir“ die Geschichte vom Pinguin Gordon, der zusammen mit Tapir in einer Wohngemeinschaft lebt. Allerdings sind die beiden nicht sehr zufrieden miteinander: So wie Gordon übertrieben ordentlich ist, ist Tapir ein Chaot und Schlamper; außerdem blockiert Tapirs Freundin, ein Flußpferd, jeden Tag stundenlang die Badewanne. So sucht sich Gordon schließlich eine eigene  Wohnung nur ein paar Straßen weiter, in der er endlich so ordentlich sein kann, wie er will. Der Freundschaft der beiden tut das keinen Abbruch, sondern im Gegenteil leben beiden fröhlich weiter und feiern wilde Partys in Tapirs Reich.

Dem Buch fehlt ein wenig der Zauber der Herr-Eichhorn-Reihe, nichtsdestoweniger ist es ein nettes Buch zum Selbstlesen und Verschenken. Schachspieler erfahren zudem, dass sich Pinguine nicht an die Fide-Regeln halten; zumindest bauen sie das Brett falsch herum auf.

Sebastian Meschenmoser: Gordon und Tapir. Stuttgart: Thienemann-Esslinger Verlag, 2014. Bedruckter Pappband, Fadenheftung, 54 unpaginierte Seiten. 14,99 €.

Wenzel Storch: Arno & Alice

Strorch_ArnoEine kleine, reich bebilderte Arno-Schmidt-Biographie. Die Bilder sind vorgeblich aus dem Malwettbewerb der Volksbank Bargfeld »Kinder malen Arno Schmidt« hervorgegangen (leider macht Storch im Vorwort zu deutlich, dass es sich dabei um eine Fiktion handelt). Der Text, der die infantilen Bunt- und Filzstiftbilder begleitet, erzählt eine hübsch schaurige Biografie Schmidts gemischt aus Fakten, Anekdoten, groben Erfindungen und Geschmacklosigkeiten. Wer Storch ernst nimmt, findet reichlich Stoff, sich aufzuregen; es ist daher nur jenen die Lektüre anzuraten, die sowohl über einen gehörigen Abstand zum obskuren Objekt der Darstellung als auch einen recht breit angelegten Humor verfügen – zwei Dinge, in denen die meisten Arno-Schmidt-Kenner bekanntlich nicht gerade exzellieren.

Interessant an dem Büchlein ist wahrscheinlich weniger sein Inhalt als vielmehr die Tatsache, dass jemand erfolgreich den Aufwand betreibt, sich in dieser Art und Weise über Arno Schmidt und sein öffentliches Bild lustig zu machen. Einerseits macht es sich mit dem Humor des kulturellen Spießbürgers über den aus der Spur geratenen, schreibenden Spießbürger Arno Schmidt lustig (was gleich zwei wesentlich Züge der Schmidt-Rezeption ironisiert), andererseits stellt es unter Beweis, dass Schmidt bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der deutschen Kulturträger im kulturellen Bewusstsein fest verankert ist, und sei es auch nur als eine Karikatur seiner tatsächlich biografischen und schriftstellerischen Existenz.

Wenzel Storch: Arno & Alice. Ein Bilderbuch für kleine und große Arno-Schmidt-Fans. Hamburg: KVV konkret, 2012. Bedruckter Pappband, Fadenheftung, Kunstdruckpapier, ca. 88 hauptsächlich illustrierte Seiten (unpaginiert). 24,80 €.

(geschrieben für den Bargfelder Boten, Lfg. 363)

Shalom Auslander: Hoffnung

Gibt’s in Stockton etwa keine Holocauste?, fragte sie.
Nein, sagte Kugel.
Werden wir ja sehen.

Auslander_HoffnungShalom Auslander ist einer der frechsten jüdischen Autoren. Nach seinen erfolgreichen Erzählungen hat er nun seinen ersten Roman geschrieben bzw. das, was man heute im Allgemeinen so nennt. Erzählt wird die Geschichte Solomon Kugels, der mit seiner Frau Bree und ihrem gemeinsamen kleinen Sohn Jonah gerade aufs Land gezogen ist, nach Stockton, einer Kleinstadt, deren Attraktivität für Kugel in der Hauptsache darin besteht, dass sie in der US-amerikanischen Geschichte keinerlei Rolle spielt. Mitgezogen ist auch Kugels Mutter, die sich hartnäckig weigert, die ärztliche Voraussage ihres kurz bevorstehenden Todes zu erfüllen.

Kugel steht bereits zu Anfang der Geschichte am Rande eines Nervenzusammenbruchs: Eigentlich können sich die Kugels das Farmhaus, das sie gekauft haben, nicht leisten, können aber nur eines statt zwei Zimmer vermietet, weil das andere Mutter Kugel bewohnt. Kugel leidet unter Paranoia, nicht nur vor einem vermeintlichen Holocaust, sondern konkreter vor einem die Gegend unsicher machenden Brandstifter, seine Arbeitsstelle ist gefährdet. Er schläft schlecht und last not least versucht er den Neurosen und den Wahnvorstellungen seiner Mutter zu genügen, die vorgibt, ein Holocaust-Opfer zu sein, seit sie von ihrem Mann verlassen worden ist. Als sei all dies nicht genug, stellt Kugel in einer schlaflosen Nacht fest, dass auf dem Dachbodens seines Hauses Anne Frank lebt. Sie ist aus Bergen-Belsen entkommen und versteckt sich seit 40 Jahren auf dem Dachboden, wo sie versucht, ihren ersten Roman zu schreiben, der den Erfolg ihres Tagesbuches übertreffen soll und daher niemals fertig werden wird.

Der Rest ergibt sich mehr oder weniger aus dieser Exposition. Das Buch hat hoch komische Passagen, auch den einen oder anderen tatsächlich inhaltlich interessanten Dialog, alles in allem aber bleibt es anekdotisch, ist nicht frei von Wiederholungen und macht über weite Strecken den Eindruck, dass der Autor nicht weiß, wo das ganze enden soll. Wen solche formalen Mängel nicht weiter stören, wird sich mit dem Buch wahrscheinlich bestens unterhalten.

Shalom Auslander: Hoffnung. Eine Tragödie. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Berlin: Berlin Verlag, 2012. Pappband, Lesebändchen, 335 Seiten. 19,99 €.

Eckhard Henscheid / Immanuel Kant: Der Neger (Negerl)

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Angesichts der sich gerade überschlagenden Diskussion um das Übersetzen literarischer Texte in eine gerechte Sprache – es wird für nachfolgende Jahrhunderte wenige andere vergleichbar schlagende Beispiele für die vollkommene Bodenlosigkeit der rezenten Kulturstufe geben – sei wenigstens an dieser Stelle an ein kleines Büchlein aus den goldenen Zeiten des seligen Haffmans Verlages erinnert. Nur zum Zwecke der Demonstration soll hier zumindest eine Stelle ausführlicher zitiert werden:

Goethe war kein Neger noch scherte er sich viel um sie. Ganz anders dagegen Franz Kafka. Er legte dem Brief an Felice vom 24. 11. 1912 eine Notiz aus dem ›Prager Tagblatt‹ vom 25. 9. über die »Seligsprechung der 22 christlichen Negerjünglinge von Uganda« bei, welche »als erste Blutzeugen vor 26 Jahren für den Glauben den Verbrennungstod erlitten«:

Wie aus Rom von der Zentrale der St. Petrus Claver-Sodalität gemeldet wird, waren die Kardinäle, welche die Angelegenheit zu beraten hatten, über den Heldenmut der jugendlichen Märtyrer bis zu Tränen ergriffen. Es herrscht über die Nachricht des eingeleiteten Se­lig­spre­chungs­ver­fah­rens allenthalben bei den Negern und besonders bei denen von Nord-Viktoria-Nyanza, der Heimat der ersten Märtyrer, der größte Jubel, den sie in Tänzen und Sprüngen zum Ausdruck brachten.

Kafka beauftragt Felice, den Artikel aufzubewahren, und kommentiert: »Fast jeden zweiten Tag finde ich in der Zeitung eine derartige, für mich allein bestimmte Nachricht.«

Abgesehen von Kafkas überaus einleuchtender Nachrichten- und Medientheorie (jeder muß nur je einen Artikel in je einer Zeitung lesen) – […]

Jeder denkende Mensch mache sich bitte klar, dass falls die die Diskussion beherrschenden Hysteriker den Sieg davontragen werden (und alles sieht danach aus), ein solcher Text nie wieder wird gedruckt werden können. Das ist zwar keine Zensur, wie die Nichtsnutze der anderen Seite schreiend behaupten, aber es ist schlimmer: Es handelt sich um die Selbstverstümmelung einer Kultur aufgrund galoppierender Dummheit.

Eckhard Henscheid / Immanuel Kant: Der Neger (Negerl). Zürich: Haffmans, 1988. Pappband, Fadenheftung, 174 Seiten. Nie wieder im Buchhandel erhältlich.

Alan Bennett: Schweinkram

»Zwei unziemliche Geschichten«, wie es im Untertitel des Bändchen heißt:

Mrs. Donaldson erblüht erzählt vom sexuellen Erwachen einer 55-jährigen Witwe, die zur Aufbesserung ihres Einkommens zum einen im lokalen Krankenhaus als simulierende Patientin arbeitet, an der junge Ärzte ihre diagnostischen und sozialen Fähigkeiten üben, zum anderen zwei ihrer Zimmer an ein Studentenpärchen vermietet, die den Ball ins Rollen bringen: Als die jungen Leute Schwierigkeiten haben, die Miete zu begleichen, bieten sie Mrs. Donaldson an, dass sie ihnen zum Ausgleich beim Geschlechtsverkehr zuschauen dürfe. Die etwas verklemmte Mrs. Donaldson lässt sich auf das Experiment eher deshalb ein, um ihren Mietern die Peinlichkeit einer Ablehnung zu ersparen und besucht das Schlafzimmer des Pärchens wie eine Art von Theatervorstellung.

Die ungewohnte Begegnung mit einer ausgelebten Sexualität bringt jedoch auch in ihr einiges in Bewegung, so dass sie von da an als Lauscher an der Wand am Liebesleben ihrer Mitbewohner teilnimmt. Im Krankenhaus entwickelt sich zudem langsam ein Flirt mit dem das Ärzte-Training überwachenden Oberarzt, und als das erste Studentenpaar auszieht und von einem anderen abgelöst wird, nimmt alles noch eine weitere überraschende Wendung.

Die Titelfigur in Mrs. Forbes wird behütet ist die Mutter Graham Forbes’, eines schwulen und eitlen Schönlings, der eine seiner Bankkundinnen heiratet, um in den Genuss ihres ererbten Vermögens zu kommen. Aus dieser spannungsgeladenen Grundkonstellation entwickelt Bennett eine kurze, aber überraschend vielfältige Geschichte um Ehebruch, Erpressung, familiäre Geheimnisse und die sexuellen Beziehungen hinter einer gutbürgerlichen Fassade.

Wie immer gelingt es Bennett aus auf den ersten Blick nicht ungewöhnlichen und eher harmlosen Ausgangssituationen und Figuren überraschende Handlungen zu entwickeln, die ohne jede Aufgeregtheit mitten im wirklichen Leben ankommen. Ein Meister der kleinen Form.

Alan Bennett: Schweinkram. Zwei unziemliche Geschichten. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Salto 188. Berlin: Wagenbach, 2012. Bedrucktes Leinen, Fadenheftung, 141 Seiten. 15,90 €.