Samuel Schoenbaum: William Shakespeare

This is mere speculation.

Schoenbaum-ShakespeareDiese beinahe dreißig Jahre alte, vergleichweise kurze Biographie Shakespeares führt den Untertitel “A Compact Documentary Life”, der den Charakter des Buches vollständig beschreibt. Schoenbaum hält sich streng daran, nur das für bare Münze zu nehmen, was durch ein aus Shakespeares Zeit stammendes Dokument belegt ist. Er referiert zwar auch die ältesten und beliebtesten Shakespeare-Legenden, macht ihre Fragwürdigkeit aber stets deutlich und widerlegt auch nebenbei mit präzisen historischen Fakten und scharfer Argumentation das eine oder andere dieser Märchen. Wer wenigstens einmal die biographischen Fakten zum Leben Shakespeares von den Phantasien seiner Biographen trennen möchte, hat dazu mit Schoenbaums Biographie das richtige Werkzeug in der Hand.

Ansonsten ist es aber auch mit dieser Shakespeare-Biographie wie mit allen anderen: Man liest sie nicht, um wirklich etwas Neues über Shakespeares Leben zu erfahren, sondern um weitere Details zur Elizabethanischen Epoche, ihrer Kultur im Allgemeinen und ihrem Theater im Besonderen kennenzulernen. Dabei müsste in diesem Fall das eine oder andere Detail zu den Texten Shakespeare und ihrer Entstehung revidiert werden, so dass das Buch dem heutigen Leser nur zur fundierenden Ergänzung der neueren Forschung oder als biographisches Purgativ empfohlen werden kann.

Samuel Schoenbaum: William Shakespeare. A Compact Documentary Life. New York / Oxford: Oxford University Press, 1987. Nachdruck durch Amazon Fullfilment. Broschur, 384 Seiten. 23,– €.

100 Jahre Dada

Alles in unserer Zeit ist Dada, nur die Dadaisten nicht. Wenn die Dadaisten Dadaisten wären, dann wären die Dadaisten keine Dadaisten.
Theo van Doesburg

In diesem Jahr wäre Dada 100 Jahre alt geworden, wenn es nicht bereits unmittelbar vor seiner Zeugung verstorben wäre:

Dada ist tot, bevor es überhaupt angefangen hat. Zum ersten Mal stirbt Dada, als Tzara aus einer Laune eine Kunstrichtung machen will. Dada stirbt seinen Heldentod, als Ball im Juni 1916 Zürich verlässt. Dada dreht sich im Grabe um, als Huelsenbeck, Tzara und Arp versuchen, es in anderen Städten zu etablieren. In der Auseinandersetzung zwischen Picabia, Breton, Tzara und ihren Gesellen stirbt Dada tausend Tode. Aber so darf Dada nicht vertröpfeln, es muss auch einmal ordentlich symbolisch zu Grabe getragen werden.

Banalerweise leben Totgesagte immer länger, besonders dann, wenn zu bezweifeln ist, dass sie überhaupt jemals von selbst geatmet haben. Das alles stört aber Dada und die meisten seiner Vorkämpfer überhaupt nicht. Sich um solch offenbare Widersprüche zu kümmern, hieße die Macht des Paradoxen zu verschwenden. Dada setzt tiefer an, nämlich dort wo sich Vernunft und Unvernunft gute Nacht sagen – an der kargen Oberfläche der bürgerlichen Kultur.

dada-almanachNatürlich ist der Manesse Verlag mit Sitz in Zürich prädestiniert, Dada zum Jubiläum mit einer Anthologie zu würdigen. Die Textauswahl ist beeindruckend umfassend; sogar Clément Pansaers (1885–1922) und Paul von Ostaijen (1896–1928), zwei belgische Dadaisten, von denen ich bis dato noch nie gehört oder gelesen hatte, sind vertreten. Ansonsten ist alles anwesend, was noch keinen Rang hatte und sich einen Namen machte: Tristan Tzara, Hans Arp, Georg Grosz, Walter Serner, Richard Huelsenbeck, Hugo Ball und Emmy Hennings, Walter Mehring (den ich besonders schätze), Raoul Hausmann, Francis Picabia, André Breton, Paul Éluard und und und. Die Auswahl der Texte ist ebenso gelungen: Weder fehlen die bekannten Klassiker (etwa Balls „Karawane“ oder Schwitters „An Anna Blume“), noch die Überraschungen, wegen derer man einen solchen Almanach kaufen sollte. Auch die Auswahl aus der unendlichen Flut dadaistischer Manifeste, die bekanntlich nichts sagen, dass aber in einer Ausführlichkeit, mit der sich nur politische Reden messen können, ist exzellent. Begleitet werden die Texte durch einen Anhang, der die wichtigsten Dadaisten in biographischen Kurzporträts vorstellt und die wichtigsten Orte der Aufführung präsentiert. Das zusätzliche Spiel mit Schwarz und Rot im Druckbild rundet den Band perfekt ab. Das einzige, was man vermissen könnte, ist, dass Dada nicht ausschließlich eine textbasierte Strömung war, sondern insbesondere auch Graphik, Collage und Musik mit einbezog.

mittelmeier-dadaWer darüber mehr erfahren  und Dada im allgemeineren Kontext der Moderne dargestellt haben möchte, kann zu Martin Mittelmeiers Buch greifen (aus dem auch das längere Zitat oben stammt). Mittelmeier versucht, einen Weg zu finden, dem chronologischen, persönlichen, formalen und inhaltlichen Chaos Dadas gerecht zu werden. Wer sich nicht schon ein wenig in der Kulturgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts auskennt, könnte im Stakkato einiger Passagen des Buches verlorengehen. Alles in allem und im Großen und Ganzen muss man Mittelmeier zugestehen, dass er diese schwierige Aufgabe gut bewältigt, sind doch zahllose biographische Details, parallele Entwicklungen, Verwerfungen, Verfeindungen und Zweckbündnisse, Widersprüche und Gegensätze darzustellen, deren Anlässe für einen, der nicht tief in den Verwicklungen dieser Zeit steckt, nur schwer nachzuvollziehen sind.

Sehr loben muss man Mittelmeier dafür, dass er den bequemen Ansatz, Dada sei die Reaktion einiger Intellektueller auf den Wahnsinn des Ersten Weltkrieges, als unzureichend begreift und Dada stattdessen in die künstlerischen Umbrüche zu Beginn des 20. Jahrhunderts einstellt: Das Aufgeben der Zentralperspektive in der Malerei, der Harmonik in der Musik – wenn auch seine Rede davon, Schönberg befreie „den einzelnen Ton aus dem Korsett der klassischen Tonalität“ (S. 51) dummes Geschwätz ist –, die Faszination der Geschwindigkeit und die Empfindung der Simultanität sind andere Aspekte desselben grundsätzlichen Zweifels an den tradierten Formsprachen, der sich auch in Dada manifestiert. Auch lässt Mittelmeier keinen Zweifel daran, dass Mangel an konkretem Inhalt, Wiederholung und der Dada notwendig innewohnende Selbstwiderspruch zu nichts anderem als zur baldigen Auflösung von Dada führen konnten, und jede neue Stadt, in die Dada getragen wird, die Agonie nur überdeckt und herauszögert. Ergänzt wird diese sehr klarsichtige Darstellung durch einige dadaistische Zwischenspiele, auf die man sich – wie auf Dada überhaupt – schlicht einlassen sollte.

Ob Mittelmeier aber tatsächlich der Auffassung ist, der Eiffelturm sei 1000 Meter hoch (S. 48), Erich Mühsam habe den Vornamen Ernst geführt (S. 66), moderne Kunst verfüge über „Autonomie“ (S. 102) oder Schwitters Bilder seien „funktional gesehen gotische Dome“ (S. 184), kann man angesichts dessen, was hier gelungen ist, auf sich beruhen lassen.

Dada-Almanach. Vom Aberwitz ästhetischer Kontradiktion. Hg. v. Andreas Puff-Trojan und H. M. Compagnon. Zürich: Manesse, 2016. Bedruckter Pappband, Fadenheftung, 176 Seiten. 39,95 €.

Martin Mittelmeier: Dada. Eine Jahrhundertgeschichte. München: Siedler, 2016. Pappband, 272 Seiten. 22,99 €.

Lila Azam Zanganeh: Der Zauberer

Zanganeh-ZaubererEine merkwürdige Mischung aus biographischer Studie, literarischem Essay und Fan-Prosa über Vladimir Nabokov und einige von seinen Büchern. Merkwürdig ist das Buch vor allem deshalb, weil es von einer Art naiver Begeisterung getragen ist, die normalerweise nicht lang genug überlebt, um in einem Buch dokumentiert zu werden. Für jemanden, der von Nabokov nur das Übliche oder gar kein Buch gelesen hat, mag das ganz nett sein, doch diejenigen, die sich nur ein wenig besser auskennen, werden schwerlich mit dem Buch zufrieden sein.

In der Hauptsache geht es um drei Bücher Nabokovs: die beiden Romane „Lolita“ und „Ada“ sowie seine Autobiographie „Erinnerung, sprich“; das ein oder andere wird zwar en passant zusätzlich zitiert, doch bleibt es bei marginalen Zitaten. Weder Nabokovs frühe Versuche im Kriminal- oder Unterhaltungsgenre werden erwähnt, noch seine Bücher, die sich in der Hauptsache um staatliche Gewalt, Gefangenschaft und Tod drehen. Denn Zanganeh geht es bei Nabokov wesentlich um eine Sache: um – ach! – die Liebe! Und die wahre Liebe gibt es natürlich immer nur in der Erinnerung, sei es Nabokovs sentimentaler Blick zurück auf seine russische Jugend oder Humbert Humberts erste und einzige pubertäre Verliebtheit an der Riviera.

Man muss fair sein und zugeben, dass Zanganeh sich wie Nabokov selbst darüber im Klaren ist, dass das Sentimentale nur eine Seite der Medaille darstellt und stets verquickt ist mit zerstörerischen Umständen: politischem Umsturz, Pädophilie oder Inzest. Doch diese Seite stört bei Zanganehs Neigung zur Sentimentalität, weshalb der unbelehrte Leser einen eher schiefen Eindruck von der Welt der Nabokovschen Fiktionen erhält. So ist Humbert Humbert zwar immer noch der egozentrische, verantwortungslose Asoziale des Romans, doch ist in Zanganehs Blick seine narzisstische Fixierung auf Dolly Haze trotz allem Liebe. Nabokov würde es wahrscheinlich mit einem schiefen Lächeln quittieren.

Neben der Auseinandersetzung mit einigen von Nabokovs Texten, wird er als Lepidopterologe gewürdigt (seine Fähigkeiten als Schachkomponist bleiben unerwähnt), sein Sohn Dmitri tritt auf und wir erfahren dies und das über die Autorin, die sich als Leserin Nabokovs immer wieder mit ins Spiel bringt. Zumindest dieser letzte Aspekt des Buches ist originell und trägt der Einsicht Rechnung, dass Lektüre im Idealfall immer die Verflechtung zweier – im Fall dieses Buches sogar dreier – Individualitäten darstellt.

Insgesamt für all jene (und das werden wohl die meisten sein), die Nabokov nicht oder nur aus dem einzigen Buch „Lolita“ kennen, wahrscheinlich eine anregende und informierende Lektüre, für einen Achtel-Kenner wie mich zu selektiv und enthusiastisch.

Lila Azam Zanganeh: Der Zauberer. Nabokov und das Glück. Aus dem Englischen von Susann Urban. Frankfurt/M.: Büchergilde Gutenberg, 2015. Pappband, Fadenheftung, Lesebändchen, 240 Seiten. 19,95 € (Preis für Mitglieder) / 22,95 €.

Heinrich Heine: Die romantische Schule

Die Literaturgeschichte ist die große Morgue, wo jeder seine Toten aufsucht, die er liebt oder womit er verwandt ist.

Nachdem sich Heinrich Heine 1831 dem immer drohenden staatlichen Zugriff auf seine Person durch eine Auswanderung nach Frankreich, genauer nach Paris entzogen hatte, sah er sich vor die Aufgabe gestellt, seinen Lebensunterhalt wenigstens teilweise durch seine Schriftstellerei zu finanzieren. Er verfiel auf den naheliegenden Gedanken, seine Kenntnisse der deutschen Kultur den Franzosen und sein wachsendes Wissen über die französische Kultur den Deutschen nahe zu bringen. Er verfasste daher eine ganze Reihe von Essays für französische und deutsche Zeitungen, die später als Zweitverwertung auch in Buchform erschienen, so auch „Die romantische Schule“ aus dem Jahr 1836.

Heine versteht seinen Text als Ergänzung und Korrektur des Bildes von der neuesten deutschen Literatur, das Franzosen aus Germaine de Staëls „Über Deutschland“ (1813), der allein schon aufgrund des napoleonischen Verbotes einflussreichsten französischen Darstellung der deutschen Gesellschaft und Kultur, beziehen konnten. Abgesehen von der publizistischen Wirksamkeit eines Widerspruchs gegen diese Autorität, genügt schon Heines eher kritische Haltung den Brüdern Schlegel gegenüber, um eine ausreichende polemische Distanz zu Staëls Urteilen zu erzeugen.

Heine thematisiert nicht nur die Romantische Schule – darunter versteht er im Wesentlichen das, was Germanisten heute zumeist als Jenaer Romantik bezeichnen –, sondern liefert eine breitere deutsche Literaturgeschichte, deren zweiter und dritter Teil sich auf die Autoren der Romantik konzentriert. Im ersten Teil finden sich Reflexionen über die bis dahin edierte mittelalterliche deutsche Literatur, die Anfänge der bürgerlichen Literatur im 18. Jahrhundert (besonders gelobt werden Lessing und Herder) und Goethe. Zusätzlich gibt es im dritten Teil ein maßvolles Lob Jean Pauls, den Heine mit Laurence Sterne vergleicht:

Wie Lorenz [!] Sterne hat auch Jean Paul in seinen Schriften seine Persönlichkeit preisgegeben, er hat sich ebenfalls in menschlicher Blöße gezeigt, aber doch mit einer gewissen unbeholfenen Scheu, besonders in geschlechtlicher Hinsicht. Lorenz Sterne zeigte sich dem Publikum ganz entkleidet, er ist ganz nackt; Jean Paul hingegen hat nur Löcher in der Hose.

Heinrich von Kleist oder Friedrich Hölderlin kommen als Außenseiter der großen Literaturströmungen in Deutschland beide nicht vor.

Im großen und Ganzen folgt Heine eher der Tendenz, mehr über die Autoren im allgemeinen als über bestimmte Werke zu reden. Zwar erwähnt er immer wieder einzelne Titel, insbesondere vermerkt er für die französischen Leser, welche davon ins Französische übersetzt wurden, aber die Darstellung liefert meist nicht mehr als eine grobe Übersicht der Fabel und vielleicht einige Glanzpunkte, wie sie einem auch nach länger zurückliegender Lektüre noch gewärtig sind. Hauptsächlich aber schreibt Heine mehr oder weniger spitze, aber immer zugespitzte Portraits der behandelten Autoren und eine in beinahe allen Fällen auch heute noch als ziemlich präzise anzusehende literargeschichtliche Einordnung. Heines salopp erscheinende, aber immer exakte Sprache, seine Kunst des Ab- und Ausweichens – so erzählt er etwa über Novalis’ „Heinrich von Ofterdingen“, den er möglicherweise nicht einmal gelesen hat, eine halb sentimentale, halb ironische Liebesgeschichte um ein junges, engelsgleiches Mädchen, in dessen Händen er das Buch immer gesehen habe – bereiten den eigentlich trockenen, akademischen Stoff einer Literaturgeschichte zu einer vergnüglichen Lektüre für den französischen Zeitungsleser auf.

Was mir bei dieser erneuten Lektüre allerdings zum ersten Mal so deutlich aufgefallen ist, ist Heines rabiate Opposition gegen den deutschen Katholizismus (den seines Gastlandes beurteilt er aus verständlichen Gründen weit milder), die sich natürlich aus Heines Konfrontation mit katholischen Kreisen in München erklärt, die gegen die Professur eines protestantisch getauften Juden erfolgreich intrigiert hatten. Heine lässt zwar erkennen, dass er die Motive wohl nachvollziehen kann, aus denen heraus sich die Romantiker der anscheinend dem Mittelalter noch näher stehenden Glaubenswelt des Katholizismus anschlossen, doch lässt er am deutschen Katholizismus selbst kein gutes Haar. Es mag nicht zuviel gesagt sein, dass am Ende die Neigung zum Katholizismus den Haupteinwand Heines gegen die „romantische Schule“ bildet, ja, eventuell sogar das Hauptmotiv dafür liefert, warum Heine sich selbst nur sehr eingeschränkt als Erbe dieser Literaturtradition begreifen möchte.

Wie ich selbst beim Wiederlesen feststellen durfte, taugt Heines „romantische Schule“ nur bedingt für den diejenigen, die sich zum ersten Mal dieser – frei nach Elias Canetti – „Hölle der deutschen Literatur“ nähern und ein solides Bild gewinnen wollen (was insofern keine kleine Kritik darstellt, als der Essay primär für ebensolche Leser geschrieben wurde), aber für alle, die sich selbst dort schon umgetan haben, ist es ein großes Vergnügen, Heine als Führer zu folgen.

Heinrich Heine: Die romantische Schule. In: Sämtliche Schriften, Bd. 3. Hg. v. Klaus Briegleb. u. Karl Pörnbacher. München: Hanser, 31996. S. 357–504. Leinen, Fadenheftung, zwei Lesebändchen. 54,– €.

Selbstverständlich auch in diversen anderen Ausgaben lieferbar.

Dominik Riedo: Wolf von Niebelschütz

Riedo-NiebelschützWolf von Niebelschütz ist, wie bereits an anderer Stelle gesagt, einer der bemerkenswerten Autoren der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur: Ei­ner­seits von einer kleinen, aber stetig wachsenden Guppe von Lesern geschätzt, andererseits beinahe nie aus dem Schatten eines Geheimtipp-Daseins herausgetreten, dennoch mit seinen beiden Ro­ma­nen beinahe ununterbrochen lieferbar (sein Biograph Dominik Riedo schätzt die Gesamtauflage der beiden Bücher auf immerhin je 100.000 Exemplare) führt er eine jener langlebigen Randexistenzen der Li­te­ra­tur, die zeigen, dass der Literaturbetrieb doch noch nicht gänzlich auf das Geschäft der Controller heruntergekommen ist. Oder, um es mit einem anderen, wenn auch inzwischen deutlich bekannteren Au­ßen­sei­ter der deutschsprachigen Literatur zu sagen:

Und die eigentlichen ›Pfade‹ in der Literatur sind die Sackgassen, (auch die der Büchersucher und =finder)

Dominik Riedo hat nun im vergangenen Jahr die erste umfassende Biographie über Wolf von Niebelschütz herausgebracht. Das Buch zeugt mit seinen über 900 großformatigen Seiten nicht nur vom Fleiß des Autors, sondern vermittelt ein tatsächlich so vollständiges Bild von Leben und Werk, wie es sich derzeit erstellen lässt. Niebelschütz war zwar adeliger Herkunft, wuchs aber in bürgerlichen Verhältnissen auf, besuchte Schulpforta, begann anschließend in Wien Geschichte zu stu­die­ren, brach das Studium aber schon bald ab und wurde Journalist in Magdeburg bei jener Zeitung, für die auch sein Vater arbeitet. Neben der journalistischen Arbeit schrieb er Gedichte. Vom aufkommenden Nationalsozialismus hält er sich fern, wenn es auch wohl übertrieben wäre, ihn einen Gegner zu nennen (Riedo verschweigt dabei durchaus nicht die antisemitischen Tendenzen, denen Niebelschütz in dieser Zeit anhängt). Dann wird er zur Wehrmacht eingezogen, wobei er dazu neigt, das Soldatentum einerseits in Gedichten heldisch zu überhöhen, andererseits aber persönlich ziemlich unerträglich zu finden.

Noch während des Krieges beginnt Niebelschütz, angeregt durch die Lektüre eines Hofmannthal-Fragments, mit der Arbeit an seinem ersten großen Roman – zwei Romanversuche zuvor sind nicht zur Druckreife gelangt –, einem im 18. Jahrhundert im fiktiven Mit­tel­meer­in­sel­reich Myrrha spielenden Haupt- und Staatsroman, der nicht nur das Zeitalter des Barock mit seinen Umgangsformen und seinem Lebensgefühl feiert, sondern sich zugleich auch über genau diese Fas­zi­na­tion lustig zu machen versteht. „Der blaue Kammerherr“ erschien 1949 im jungen Suhrkamp Verlag, und es sah zuerst nach dem von Autor und Verleger erhofften Erfolg aus. Doch nach anfangs guten Verkäufen ließ das Interesse rasch und deutlich nach, so dass sich Niebelschütz in den Folgejahren als Vortragsredner und Auftragsautor für die deutsche Industrie verdingen musste. So erschien erst zehn Jahre nach seinem Debüt sein zweiter Roman „Die Kinder der Finsternis“, dem beim Publikum ein nahezu identisches Schicksal beschieden war. Dennoch sind beide Romane nie vollständig vom Buchmarkt verschwunden, und mit den Jahren ist Niebelschütz langsam zu dem Status eines wohlbekannten Geheimtipps gekommen, ein Schicksal, dass er zum Beispiel mit Albert Vigoleis Thelen teilt, was zeigen mag, dass es sich um kein so ganz einmaliges Phänomen in der deutschen Nachkriegsliteratur handelt.

Dominik Riedos Biographie ist eine wissenschaftlich orientierte Gesamtdarstellung, die nicht nur Leben und Werk, sondern auch die Rezeption besonders der beiden Romane umfassend würdigt, sowohl was das Feuilleton als auch was die germanistische Forschung angeht. Da das Buch übersichtlich und der Sache nach klar gegliedert ist, erlaubt es aber auch eine eher biographisch als li­te­ra­tur­wis­sen­­schaft­lich gewichtete Lektüre. Überhaupt muss man Riedo einen sprachlich stets klaren und nahezu immer beispielhaft objektiven Zugriff auf die dargestellte Sache bescheinigen; nur einige wenige im Ton schwär­me­ri­sche Stellen lassen hier und da den Fan durchschimmern.

Zu wünschen wäre eine von diesem Buch ausgehende, kürzere und preiswertere, an ein breiteres Publikum gerichtete Biographie Wolf von Niebelschütz’, die vielleicht eine Chance böte, diesen sprachlich ori­gi­nel­len und inhaltlich spannenden Autor, der sich dem Strom der zeit­ge­nös­si­schen Literatur nur wenig angepasst hat, einer noch größeren Leserschaft bekannt zu machen. Man darf jedenfalls gespannt sein, ob und wie sich die Wahrnehmung von Autor und Werk durch Riedos Biographie verändern wird.

Dominik Riedo: Wolf von Niebelschütz. Leben und Werk. Eine Biographie. Bern u.a.: Peter Lang, 2013. Bedruckter Pappband, Fadenheftung, 919 Seiten. 133,80 €.

Karlheinz Stierle: Dante Alighieri

Dantes Mythenbricolage aus Altem und Neuem Tes­ta­ment und eigenen visionären oder pseu­do­vi­sio­nä­ren Elementen im Einzelnen aufzulösen, ist hier nicht der Ort.

Stierle-DanteWieder einmal ein Sachbuch, das zumindest teilweise unter falscher Flagge segelt: Titel und Untertitel – „Dichter im Exil, Dichter der Welt“ – sowie der Umschlagstext lassen eher eine Biographie erwarten, doch den Schwerpunkt des Buches (drei der sechs Kapitel) bildet eine ausführliche, kommentierende Nach­er­zäh­lung der „Commedia“. Vorangestellt ist eine kurzgefasste Biographie Dantes und eine ebenso knappe Dar­stel­lung seiner frühen Schriften; den Abschluss macht ein Kapitel zur Re­zep­tion, wobei auch dieses kaum über einige erweiterte Stichworte hin­aus­geht.

Im Rahmen dessen, was das Buch leisten will, ist es, soweit ich das nachvollziehen kann, untadelig, wenn es auch trotz seiner Kürze nicht frei von Redundanzen ist; allerdings sollte man auch nicht zu viel erwarten. Schon den einigermaßen interessierten Laien dürfte kaum etwas an Stierles Nacherzählung überraschen; auch geht er zuverlässig auf alle populären Stereotype zur „Commedia“ ein. Dennoch eignet sich das Buch nur bedingt als erste Einführung, da es dafür zu hohe Ansprüche an die historische Vorbildung des Lesers macht. Wie so häufig bei Sachbüchern ist mir auch bei dieser Lektüre nicht recht klar geworden, für welche Zielgruppe der Autor das Buch verfasst hat. Wer seine Erinnerung an die „Commedia“ auffrischen will, ohne das ganze Buch noch einmal zu lesen, wird hier gut bedient; alle anderen werden das Buch wohl etwas enttäuscht zur Seite legen.

Karlheinz Stierle: Dante Alighieri. Dichter im Exil, Dichter der Welt. München: C. H. Beck, 2014. Pappband, 236 Seiten. 22,95 €.

Heiko Postma: Ein Großklassiker a. D.?

Postma-HauptmannGerhart Hauptmann ist ein komplizierter Fall der deutschen Literaturgeschichte: Hatte er als No­bel­preis­trä­ger in der Weimarer Republik ohne Zweifel den Status eines der bedeutendsten Vertreter der deutschsprachigen Literatur (er war sogar zeitweise als Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten im Gespräch), so verführten ihn Eitelkeit und Über­heb­lich­keit dazu, sich mit den Vertretern des na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Regimes einzulassen, ein Verhältnis, in dem wahrscheinlich auf beiden Seiten die Überzeugung herrschte, man nutze den jeweils anderen zum eigenen Vorteil aus. Nach dem Krieg ist es Hauptmann durch seinen Tod erspart geblieben, vom nächsten Regime instrumentalisiert zu werden; doch auch eine echte bürgerliche Re­ha­bi­li­tie­rung un­ter­blieb auf diese Weise. So besteht wohl auch heute noch bei den ohnehin nicht so zahlreichen Lesern, die sich über eine reine Schullektüre hinaus mit Hauptmann einlassen, ein im besten Fall zwie­späl­ti­ges Verhältnis zu diesem Autor.

Auch im Buchhandel spiegelt sich das eher komplizierte Verhältnis der Leser zu Hauptmann wieder: Einerseits ist die letzte umfangreiche Werkausgabe, die Centenar-Ausgabe von 1962 in elf Bänden, prob­lem­los greifbar, andererseits sind als Einzelausgaben nur die klassischen Schullektüren und die wenigen noch gespielten Dramen lieferbar. Vor zwei Jahren ist dann zu Hauptmanns 150-jährigem Geburtstag noch einmal pflichtschuldigst eine Biographie von Peter Sprengel er­schie­nen, doch kann man sich des Eindrucks eines langen Abgesangs nur schlecht erwehren.

Auch der lange Essay von Heiko Postma – nur eines in einer ganzen Reihe von literaturhistorischen Büchlein, die von dem Hannoveraner Autor im JMB Verlag erschienen sind – steht, wie sich bereits am Titel ablesen lässt, im Zeichen dieses eher ambivalenten Verhältnisses. Postma liefert nur eine rudimentäre Bio­gra­phie, ohne dabei allerdings Hauptmanns Eitelkeit, seinen Versuch, sich zum Nachfolger Goethes im 20. Jahrhundert zu stilisieren, seine Verwicklung mit dem Regime des Dritten Reichs etc. zu verschweigen. Doch die Hauptmasse des Textes bilden Werkbesprechungen und län­ge­re Zitate, besonders aus den Dramen und den heute fast durchweg unbekannten Versepen Hauptmanns. Von den Romanen bespricht Postma nur „Atlantis“ ein wenig ausführlicher, und die Erzählungen, unter denen sich ganz erstaunliche epigonale Perlen finden lassen, werden nur an einer einzigen Stelle en passant erwähnt. Zum Ausgleich glänzt Postma etwa mit einer ausführlichen Darstellung des Hauptmannschen Atriden-Zyklus, der als Ergänzung und Aufhebung der Goetheschen „Iphigenie auf Tauris“ konzipiert wurde und von dem Postma sicherlich zu Recht feststellt, dass er eine Präsenz auf den deutschen Bühnen verdient hätte.

Ansonsten wäre dem Bändchen eine etwas zurückhaltendere Ty­po­gra­phie ganz gut bekommen, aber das ist auch schon der einzige Kri­tik­punkt, den ich habe finden können. Für eine erste Einführung ist das Buch nicht umfassend genug, doch für alle, die sich für Hauptmann doch einmal über den „Bahnwärter Thiel“ hinaus interessieren wollen, liefert es eine spannende und originelle Auswahl von Lek­tü­re­an­re­gun­gen, die einem Zugänge zur umfangreichen Centenar-Ausgabe eröffnen können.

Heiko Postma: Ein Großklassiker a. D.? Über den Dramatiker, Erzähler und Vers-Epiker Gerhart Hauptmann (1862 – 1946). Hannover: JMB, 2009. Broschur, 66 Seiten. 9,80 €.

Reiner Stach: Ist das Kafka?

Stach-Ist-das-KafkaReiner Stach, der gerade seine gr0ße Kafka-Biographie mit dem dritten Band abgeschlossen hat, liefert mit „Ist das Kafka?“ ein Seitenstück, in dem Kafkas Person und Leben anhand von 99 Fundstücken anekdotisch dargestellt werden. Biographisch umfassen die im Großen und Ganzen chronologisch angeordneten, kurzen Kapitel die Zeit von Kafkas Schulzeit bis zu seinem Tod. Dabei legt Stach ein besonderes Augenmerk darauf, weit verbreiteteten Vorurteilen über Kafka und sein Leben entgegenzutreten. Daher erfährt man einiges über das Sexualleben des jungen Franz, aber auch über Familie, Freunde und Bekannte, seine Berufstätigkeit und nicht zuletzt auch sein Leben als Schriftsteller.

Die Fundstücke bestehen aus Texten Kafkas, sowohl aus dem zu Lebzeiten veröffentlichten Werk als auch aus dem Nachlass, Briefen und Tagebucheinträgen, Erinnerungen von Freuden und Bekannten sowie Fotos. Nahezu alle Kapitel sind mit einem erläuternden Kommentar Stachs versehen, doch stellt sich nirgendwo der Eindruck ein, dass Stach die jeweilige Quelle überschreibt, sondern er liefert nur den jeweiligen Kontext und gibt sparsame Hinweise zum Verständnis.

Ergänzt werden die Fundstücke im Anhang durch ausführliche biographische Notizen zu den Autoren der Quellen; daneben findet sich ein tabellarischer Lebenslauf Kafkas, der den großen Zusammenhang herstellt, den ein mit Kafkas Biographie eher unvertrauter Leser beim Durchgang durch die Fundstücke durchaus vermissen könnte.

Ein guter Einstieg in die Beschäftigung mit Kafka und eine praktische Vorschule zur großen Kafka-Biographie Stachs, sowohl für Kafka-Anfänger als auch für jene geeignet, die sich schon intensiver mit Kafka auseinandergesetzt haben.

Reiner Stach: Ist das Kafka? 99 Fundstücke. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2012. Kindle-Edition, 336 Seiten (gedruckte Ausgabe). 9,99 €,

Friedhelm Rathjen: Arno Schmidt lesen!

Rathjen-Arno-Schmidt-lesenArno Schmidt ist für viele Leser wohl weniger ein deutscher Autor des 20. Jahrhunderts als vielmehr ein Schreckgespenst von Schwierigkeit und Unzugänglichkeit. Die Gerüchte, die über ihn umgehen, sind zwar nicht vollständig unbegründet, aber sie zeichnen doch ein sehr übertriebenes Bild dieses Autors und seines Werks. Ich zitiere nicht gern Günter Grass, aber wenn er in seiner Laudatio auf Arno Schmidt von 1964 feststellte, man könne „ihn in der Küche schmökern wie Gullivers Reisen“, so trifft das eine wichtige Eigenschaft der Bücher Schmidts: Schmidt zu lesen macht Spaß.

Natürlich ist es so, dass es Aspekte seiner Bücher gibt, die sich erst einer sehr gründlichen und wahrscheinlich wiederholten Lektüre eröffnen. Auch kann es sein, dass sich eher bequeme oder wenig flexible Leser vom äußeren Erscheinungsbild der Texte abgestoßen fühlen. Doch all das kann man erst einmal getrost beiseite lassen: Weder muss man Schmidts Texte auf Anhieb vollständig verstehen (es gibt Seiten im Werk, von denen ich vermute, dass sie bis heute noch niemand auf der Welt wirklich verstanden hat), noch muss man begreifen, warum der Autor Wert darauf gelegt hat, seine Texte in einer etwas seltsamen äußeren Erscheinungsform drucken zu lassen. Zu allererst kann und soll man Arno Schmidt einfach nur lesen.

In den meisten Fällen stößt der Leser dann auf eine recht konventionelle Liebesgeschichte, die in einer merkwürdigen Mischung aus innerlicher Zart- und äußerlicher Grobheit erzählt wird. Besonders in seinen frühen Veröffentlichungen liefert Schmidt zugleich ein sehr reiches Zeitbild, das von den 30er bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts reicht. Hier und da entdeckt man vielleicht auch einen Zukunftsroman (Schmidt schrieb eher Utopien, weniger Science Fiction), der Schmidts ganz eigene und immer originelle Sicht auf seine Lebenswelt widerspiegelt. Immer aber wird man einen Autor von ungewöhnlichem Humor finden. Ob man sich schließlich an das Spätwerk Schmidts machen wird, hängt sicherlich von ganz vielen Umständen ab, auch davon, wieviel Zeit man bereit ist, in diesen durch und durch originären Autor zu investieren.

Wer aber meint, nach einer ersten Bekanntschaft mit Arno Schmidts Büchern doch von dem einen oder anderen Hinweis eines Kenners profitieren zu können, hat derzeit nicht so sehr viele Möglichkeiten, sich über den Autor allgemein und gut lesbar zu informieren. Meine eigene Einführung in das erzählerische Werk ist inzwischen mehr als 10 Jahre alt und nicht mehr im Druck, die Rowohlt-Biographie von Wolfgang Martynkewicz ist auch seit langem vergriffen und wird bis auf weiteres wohl nicht ersetzt werden, und andere aktuelle biographische Veröffentlichungen – wie etwa Joachim Kerstens „Arno Schmidt in Hamburg“ – konzentrieren sich nur auf Teilaspekte der Biographie.

Nun legt mit Friedhelm Rathjen einer der besten Arno-Schmidt-Kenner einen ebenso kurzen wie umfassenden „Wegweiser“ zu Arno Schmidt vor. Der knapp 170 Seiten umfassende Band enthält eine Darstellung des kompletten Werks Arno Schmidts einschließlich der Nachlass-Veröffentlichungen; sogar die bis dato veröffentlichten Bände der Briefwechsel werden besprochen. Grundlage des Bandes sind zum einen lexikalische Einträge, die für den Reclam Verlag verfasst wurden, zum zweiten überarbeitete und erweiterte Zeitungsrezensionen und zum letzten Artikel, die eigens für diesen Band verfasst wurden. Zahlreiche der kurzen Artikel sind ergänzt um ein ausführliches Verzeichnis von Sekundärliteratur, wobei sich auch hier Rathjens Kennerschaft zeigt: Es handelt sich durchaus nicht um eine unkritische Ansammlung der existierenden Forschung, sondern um eine mit Bedacht vorgenommene kritische Auswahl.

Und so ist Rathejns Buch für jeden Leser Arno Schmidts geeignet: Schmidt-Einsteiger finden anhand der knappen und präzisen Artikel rasch Orientierung zu Einzeltexten oder dem Gesamtwerk; wer sich schon „am Haken“ findet, kann sich einen umfassenden Überblick verschaffen; der Kenner schließlich findet konzise und zuverlässige Bibliographien, die das Auf- und Wiederfinden bestimmter Sekundärtexte ermöglichen bzw. erleichtern.

Für jeden an Schmidt Interessierten rundum zu empfehlen.

Friedhelm Rathjen: Arno Schmidt lesen! Orientierungshilfe für Erstleser und Wegweiser im Literaturdschungel. Südwesthörn: Ǝdition RejoycE, 2014. Bedruckte Broschur, 168 Seiten. 17,– €. Bestellung per E-Mail direkt beim Verlag.

Wolfgang Feelisch: in’sait

In einer seiner Notizen entwirft Ludwig Hohl zwei Anzeigen, von denen eine wie folgt lautet:

»Weihnachten steht vor der Tür! Was schenkst du deinen Verwandten, Freunden und Bekannten? Am besten Bücher. Wir empfehlen dir:

Goethes kleine Prosa in leichtverständlicher Form und von äußerster Dauerhaftigkeit. Unser Haus ist imstande, dieses Buch und bald auch andere zu einem erstaunlich billigen Preis zu liefern infolge einer genialen und höchst modernen Erfindung.

Diese neue Art Bücher wird sich zum Aufstellen im Bücherschrank vorzüglich eignen, von der bekannten, altväterischen Art Bücher aber sich durch folgende Vorzüge unterscheiden: Eine Dauerhaftigkeit, die schon an Unzerstörbarkeit grenzt (auch bei häufigem Ausleihen!); höchste Prunkhaftigkeit des Deckels; den viel niedrigeren Preis.

Dieser alle Konkurrenz in den Wind schlagende niedrige Preis wird dadurch ermöglicht, daß das Innere des Buches aus einem Brett gestaltet ist (echtes Eichenholz!). Nach dem Muster der Holzschinken — man muß nur auf die Ideen kommen! Unsere Erfindung ist gesetzlich geschützt.

Kraft dieser erstrangigen Erfindung werden wir zweifellos in kurzem alle Verlagshäuser überflügelt haben. Von jenen freilich sehen wir ab, die elende Machwerke in die Welt setzen, traurige Unterhaltungs-Werke und erbarmenswürdige Spannungs-Romane, die man lesen muß; denn wir, fern jenen verachtungswürdigen Niederungen, befassen uns allein mit der großen und wahren Literatur, mit den tiefen und ernsten Büchern der Autoren, die etwas zu sagen haben, und die sich zum Aufstellen im schönen Bücherschrank vorzüglich eignen und jedem Besitzer zur Ehre gereichen.«

Feelisch-in-sait-CoverDie Idee scheint so naheliegend, dass sie tatsächlich zumindest einmal umgesetzt worden ist: Der Remscheider Künstler Wolfgang Feelisch ließ 1969 ein kleines Büchlein mit dem schön verschriebenen Titel „in’sait“ – ja, drucken kann man nur eingeschränkt sagen, also: produzieren, das alle die von Hohl gepriesenen Vorzüge aufweist. Wer es aus dem Bücherregal zieht und aufschlägt, sieht sich jeder weiteren Mühe enthoben:

Feelisch-in-sait-Inside

Leider weiß ich nicht, in welcher Auflage das Werk damals entstanden ist und ob die Idee vielleicht auch darüber hinaus Verbreitung und Freunde gefunden hat.

Wolfgang Feelisch: in’sait. Krefeld: Verlag Pro, 1969. Broschur, keine Seiten. Lange schon vergriffen.