Stendhal: Rot und Schwarz

stendhal-rot Die Neuübersetzung von Elisabeth Edl präsentiert den Roman in weiten Teilen in einer nüchternen, manchmal sogar lakonischen Sprache und hebt sich damit von allen früheren Übersetzungen ab. Vertraut man der Übersetzungskritik im Anhang (S. 724–726), so liegt mit dieser Neuübersetzung erstmals eine dem Original adäquate deutsche Ausgabe vor. Ob dies – unabhängig von der Frage der früheren Übersetzungen – tatsächlich der Fall ist, müssen andere beurteilen, da mir die dafür notwendigen Sprachkenntnisse fehlen. Allerdings macht die Übersetzung insgesamt einen sorgfältigen und ausgewogenen Eindruck. Sie liegt inzwischen auch schon im Taschenbuch bei dtv vor.

Der schon erwähnte Anhang enthält sowohl einen klugen und zur historischen Einordnung des Buches hilfreichen Essay als auch umfangreiche Anmerkungen zu Einzelstellen, die nicht nur sachliche Erläuterungen liefern, sondern in Auszügen auch Stendhals spätere Selbstkritik des Romans dokumentieren. Ich hätte es für die Erst-Lektüre wohl hilfreicher gefunden, wenn man diese beiden Ebenen getrennt hätte; aber das ist eine Kleinigkeit.

Insgesamt kann die Ausgabe zur Erst- oder erneuten Lektüre des Romans unbedingt empfohlen werden. Überhaupt ist er nicht nur an sich ein Lesevergnügen, sondern stellt auch eine wichtige Stufe in der Entwicklung des modernen Romans dar. Julien Sorel ist fraglos ein Vorläufer Frédéric Moreaus, wenn Flaubert auch auf äußerere Dramatik weitgehend verzichtet. Dabei ist Stendhal sowohl gesellschaftlich als auch politisch deutlich reicher als Flaubert, ohne dabei die Psychologie und innere Dynamik seiner Figuren zu vernachlässigen. Um Julien Sorel entsteht ein erstaunlich reiches und detailliertes Bild der französischen Gesellschaft der Restauration am Fuße der Juli-Revolution 1830.

Für alle, die den Roman noch nicht kennen, eine echte Empfehlung, wenn man an der Literatur und/oder an der französischen Gesellschaft der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts interessiert ist.

Stendhal: Rot und Schwarz. Chronik aus dem 19. Jahrhundert. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl. Lizenzausgabe. Frankfurt/M.: Büchergilde Gutenberg, 2004. Bedruckter Leinenband, Lesebändchen, 872 Seiten. 29,90 € (nur für Mitglieder der BG).

William Shakespeare: König Richard II.

139681116_ad38eae79eFrank Günthers Neuübersetzung des Shakespeareschen Gesamtwerks bringt seit einigen Jahren mit bewundernswerter Regelmäßigkeit etwa vier Bände pro Jahr hervor. Derzeit liegen 23 Bände von geplanten 39 vor; die Bände sind vorzüglich ausgestattet: Ein angenehm ganz leicht gelbliches Werkdruckpapier, ein silbergrauer Leineneinband mit für jeden Band individueller zweifarbiger Prägung, deren Motiv sich auf dem Vorsatzpapier wiederholt und zwei Lesebändchen in den Farben des Vorsatzes. Neben dem exklusiven Inhalt schlägt diese Ausstattung mit 25 bzw. 28 € pro Band zu Buche, von denen allerdings bei Subskription des Gesamtwerks noch 15 % nachgelassen werden.

Alle Bände liefern den kompletten englische Text und die Neuübersetzung Günthers auf gegenüberliegenden Seiten und einen umfangreichen Anhang mit ausführlichen Erläuterungen, Nachrichten des Übersetzers »aus der Übersetzerwerkstatt« zum jeweiligen Band und einem Essay eines Shakespeareforschers, der sich mit der Entstehung, den Quellen, der zeitgeschichtlichen Einordnung und der Rezeption des Werkes beschäftigt. Von Geschmacksfragen im Einzelnen abgesehen, kann diese Edition nur als vorbildlich bezeichnet werden.

Natürlich steht und fällt eine solche neue deutsche Gesamtausgabe Shakespeares mit der Qualität der angebotenen Übersetzung. Shakespeare hat in Deutschland seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine so reiche Übersetzertätigkeit hervorgerufen wie kein anderer englischsprachiger Autor sonst. Er wurde während des 19. Jahrhunderts dann nach Goethe und Schiller der »dritte Klassiker« im deutschen Sprachraum, und die Schlegel/Tiecksche Übertragung der Stücke bekam einen Normcharakter, der bald von den konkreten Zeitumständen, die diese Texte hervorgebracht hatten, gänzlich losgelöst erschien. Gegen diese scheinbare Zeitlosigkeit nicht nur einzelne Übersetzungen, sondern gleich eine komplette Neuausgabe eines einzigen Übersetzers setzen zu wollen, ist alles andere als kleines Unternehmen.

Günther versucht es daher bei seinen Übersetzungen mit so wenig Programmatik wie möglich und so viel Pragmatik wie nötig. Sein Ziel ist es, den heutigen deutschen Lesern und Zuschauern einen Text anzubieten, der ihnen Shakespeare so unmittelbar wie möglich zugänglich macht. Sprachliche Barrieren sollen weitgehend vermieden werden, Pointen als Pointen, Sprachspiele als Sprachspiele erkennbar sein. Das hat seine natürlichen Grenzen, die Günther auch anerkennt und deutlich macht. Günther erhebt auch nicht den Anspruch, dass seine Übersetzung alle anderen überflüssig macht, eher dass sie die anderen Versuche ergänzt und einen alternativen Zugang zum Werk Shakespeares öffnet. Er ist sich dabei der unvermeidlichen Subjektivität eines solchen Unternehmens bewusst, ohne diese Subjektivität als Ausrede für Beliebigkeit oder Bequemlichkeit zu missbrauchen.

Für mich ist die Übersetzung von Frank Günther rasch meine Leseausgabe Shakespeares geworden, nicht nur, weil sie bequem den englischen und einen guten deutschen Text parallel liefert, sondern auch wegen der Anhänge, die in der Regel alle wesentlichen Kommentare und Hinweise zur historischen Einordnung und zum Verständnis des Stückes enthalten.

William Shakespeare: König Richard II. Übersetzt von Frank Günther. Zweisprachiuge Ausgabe. Gesamtausgabe Bd. 10. Cadolzburg: ars vivendi, 2000. Geprägter Leineneinband, Fadenheftung, zwei Lesebändchen,352 Seiten. 28,– €.