William Faulkner: Licht im August

Die Neuübersetzung bei Rowohlt war der gegebene Anlass, endlich zu beginnen, eine schon lange als Versäumnis empfundene Lektürelücke zu füllen. Die erste und bislang einzige Übersetzung des Romans durch Franz Fein war 1935, nur drei Jahre nach dem Erscheinen des Originals, auch schon bei Rowohlt gedruckt worden und hatte zumindest bei einigen deutschen Lesern – etwa Gottfried Benn – Eindruck gemacht. Die Neuübersetzung durch Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel liest sich – wenn ich meinen vergleichenden Stichproben trauen darf – insgesamt deutlich flüssiger, was sicherlich zum großen Teil der auch im Nachwort von Paul Ingendaay festgestellten Tatsache zu schulden ist, »dass Übersetzungen schneller altern als Originale«. Die Neuübersetzung folgt zudem enger der grammatikalischen Struktur des Originals und ist im Einzelausdruck häufig präziser.

Licht im August ist wahrscheinlich Faulkners beliebtester weil zugänglichster seiner sonst oft als schwierig bezeichneten Romane. Es handelt sich in weiten Teilen um einen Roman ohne erzählerisches Zentrum: Er ist weder durch einen durchgängigen Protagonisten geprägt, noch scheint es lange Zeit einen einheitlichen Erzählstrang zu geben, der alle Figuren des Romans einbinden würde. Für längere Zeit scheint die Erzählung von Figur zu Figur zu schweifen und erst allmählich fügen sich die vereinzelt erscheinenden Aspekte zu einem Gesamtbild. Die wichtigsten Protagonisten sind:

  • Lena Grove, eine junge, hochschwangere Frau, die auf der Suche nach Lucas Burch, dem Vater ihres Kindes, ist. Sie ist seit vielen Wochen unterwegs und kommt nun nach Jefferson, dem Hauptort von Faulkners fiktivem Yoknapatawpha County. Sie hat gehört, dass Lucas dort in einem Hobelwerk arbeite, was einerseits zwar auf einer Namensverwechslung beruht, sich andererseits aber als richtig erweist.
  • Joe Christmas ist ein Arbeiter in besagtem Hobelwerk. Er ist als Waisenjunge zuerst in einem Heim und schließlich bei bigotten Pflegeeltern aufgewachsen, hat mutmaßlich einen schwarzen Vorfahren und ist deshalb ein Außenseiter sowohl in der Welt der Weißen als auch der Schwarzen. Es hat ihn eher zufällig nach Jefferson verschlagen, wo er hängenbleibt, weil ihm das Geld ausgegangen ist, er bequem eine Unterkunft findet und schließlich ein Verhältnis mit einer alleinstehenden Frau, Joanna Burden, beginnt, der die Hütte gehört, in der er wohnt. Nach einiger Zeit beginnt er illegal Alkohol zu verkaufen, wodurch er zu einigem Wohlstand kommt. An dem Tag, an dem Lena in Jefferson eintrifft, brennt das Haus Joanna Burdens ab und sie wird – vermutlich von Christmas – ermordet aufgefunden.
  • Joe Brown ist ein Arbeitskollege von Christmas im Hobelwerk. Er heißt in Wirklichkeit Lucas Burch und ist der Vater von Lenas Kind. Als Joe Brown wird er bald nach seiner Ankunft in Jefferson Komplize von Joe Christmas bei dessen Alkoholgeschäften. Lucas Burch ist ein undisziplinierter, junger Mann mit einer Neigung zum Saufen und entspricht in keiner Weise der idealisierten Vorstellung, die sich die Mutter seines Kindes von ihm macht. Als Lena in Jefferson eintrifft, wird Lucas gerade von der Polizei verhaftet, da er sich als Zeuge für den Mordfall Joanna Burden angeboten hat (er beschuldigt Joe Christmas der Tat, um die ausgesetzte Belohnung einzustreichen), selbst aber vorerst als Verdächtiger behandelt wird.
  • Byron Bunch arbeitet ebenfalls im Hobelwerk in Jefferson und ist derjenige, dessen Namen mit dem von Lucas Burch verwechselt wurde, als Lena gesagt wurde, ihr Liebhaber arbeite in Jefferson. Byron macht gerade am Samstagnachmittag Überstunden als Lena am Hobelwerk ankommt. Obwohl Byron weiß, dass er sich besser aus der Geschichte heraushalten sollte, empfindet er nicht nur sofort Mitleid und Sympathie für Lena, sondern den beiden wird auch rasch klar, dass es sich bei Joe Brown wahrscheinlich um Lucas Burch handeln dürfte. Sicheres Erkennungsmerkmal ist schließlich eine Narbe. Byron kümmert sich von nun an um Lena und bald wird deutlich, dass er bereit wäre, Lena zu heiraten und das Kind anzunehmen, wozu Lena aber bis zum Ende des Buches nicht bereit sein wird.
  • Gail Hightower ist ein gescheiterter Geistlicher in Jefferson, mit dem Byron Bunch befreundet ist. Byron sucht ihn auf, um in der Sache mit Lena Rat zu bekommen, wird Hightowers Vorschlägen aber letztendlich nicht folgen. Hightower stammt aus einer alten Südstaatenfamilie und ist besessen von der Geschichte seines Großvaters, der auf der Seite der Konförderierten am Sezessionskrieg teilgenommen hatte und dabei zu Tode kam. Hightower ist in seiner Gemeinde in Jefferson gescheitert, da seine Frau einen unsittlichen Lebenswandel geführt und sich schließlich umgebracht hat, wodurch Hightower in seiner Gemeinde Persona non grata wurde. Hightower bleibt aber in Jefferson, lebt ein zurückgezogenes Leben, liest, schaut aus dem Fenster und wartet, dass die Zeit vorbeigeht. Seine Verbindung zu den Ereignissen des Romans besteht nur durch Byron Bunch, dem es gelingt, Hightower auf verschiedenen Ebenen in die Ereignisse zu verwickeln.
  • Joanna Burden ist eine weitere Außernseiterin in Jefferson. Sie ist der letzte Spross einer Familie von Gegnern der Sklaverei und lebt allein im Haus ihrer Familie. Sie setzt noch immer den Kampf ihrer Familie für die ehemaligen Sklaven fort, indem sie sich für die Ausbildung und die Rechte Schwarzer engagiert. Joe Christmas und später auch Joe Brown/Lucas Burch leben in einer Hütte hinter ihrem Haus. Sie beginnt eine zuerst rein sexuelle Beziehung mit Joe Christmas, die über eine längere Zeit Höhen und Tiefen durchläuft. Schließlich macht sie klar, dass Christmas sie heiraten und Aufgaben im Rahmen ihres sozialen Kampfes übernehmen soll. Als Christmas sich dem verweigert, beginnt sie nicht nur für ihn zu beten, sondern ihn ebenfalls zum Gebet zu nötigen, was – aufgrund von Christmas’ Vorgeschichte – schließlich der Auslöser für ihre Ermordung wird.

Es wäre nicht sonderlich kompliziert, dieser Reihe von biografischen Skizzen noch zahlreiche weitere anzufügen: Percy Grimm, der Christmas erschießen und anschließend kastrieren wird, hätte eine verdient, ebenso die wahrscheinlichen Großeltern von Joe Christmas oder das Ehepaar Armstid, das Lena auf ihrem Weg nach Jefferson bei sich aufnimmt. Das Buch ist überaus reich an Figuren, die sorgfältigst gestaltet und ausgewählt sind. Es erzählt eine beeindruckende Fülle von Lebensgeschichten, Herkunftslinien, Einzelschicksalen, aber auch Typen. Faulkner ist ganz konzentriert auf sein Figuren, lässt jeder einzelnen Sorgfalt und Aufmerksamkeit angedeihen und erledigt die Handlung in weiten Teilen fast wie nebenbei. Hinzutreten thematische Schwerpunkte wie etwa Religion, Rassenhass und -vorurteile, Gerechtigkeit, Recht und Lynchjustiz. Zudem ist das ganze Buch mit einer christlichen Allegorie hinterlegt, in der Christmas als Jesus figuriert, Burch als Judas, Lena als Jungfrau Maria, Bunch als Josef und Hightower vielleicht als eine Parodie Gottes. Man hat nachgezählt, dass das Buch 66 Charaktere habe, was der Anzahl der Bücher der Bibel entspreche, und 21 Kapitel wie das Johannesevangelium. Und so sterben sowohl Joe Christmas als auch Jesus beide im Kapitel 19 des betreffenden Textes, was ja kein Zufall sein kann.

Gleichgültig wie ernst man solche allegorischen Konstruktionen nehmen mag und wie weit man ihnen folgen will: Dass das alles genau kalkuliert und aufeinander abgestimmt ist, beweist sich, wenn sich am Ende all das Vereinzelte zu einem Gesamtbild rundet, das zugleich erstaunlich detailreich und ausgewogen ist. Ein großartiges Buch von einem beeindruckenden Erzähler. Die Neuübersetzung sollte der alten auf jeden Fall vorgezogen werden; noch besser ist es aber, den Roman im Original zu lesen, so man das kann.

William Faulkner: Licht im August. Deutsch von Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel. Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay. Reinbek: Rowohlt, 2008. Pappband, Lesebändchen, 480 Seiten. 19,90 €.

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Bald darauf fuhr mit Getöse, mit tönenden Pfeifen und Glocken die Feuerwehr vor, prächtig anzusehen. Es war ein neuer Wagen, rot lackiert, mit goldenen Verzierungen sowie mit einer handbetriebenen Sirene und einer Glocke, die von der Farbe golden und im Klang heiter, arrogant und stolz war. Hutlose Männer und junge Burschen klammerten sich unter erstaunlicher Missachtung der physikalischen Gesetze, wie sie Fliegen eigen ist, an die Seiten. Der Wagen war mit mechanischen Leitern ausgestattet, die auf einen Handgriff in gewaltige Höhen emporschnellten, so wie Klappzylinder, nur dass da nichts war, wohin sie schnellen konnten. Die ordentlich aufgerollten, noch jungfräulichen Rollen von Wasserschläuchen erinnerten an die Anzeigen von Telefongesellschaften in volkstümlichen Zeitschriften, nur dass da nichts war, woran man sie anschließen, und nichts, was durch sie hindurchfließen konnte. Also schwangen sich die hutlosen Männer, die ihre Ladentresen und Schreibtische im Stich gelassen hatten, vom Wagen herab, darunter auch der, der die Sirene betätigt hatte. Sie kamen heran, […] und einige von ihnen, mit Pistolen schon griffbereit in den Taschen, machten sich auf die Suche nach jemandem, den man kreuzigen konnte.

William Faulkner
Licht im August

Du kaufst jetzt Günter Grass, …

Wieder einmal große Aufregung im Vorfeld einer Grass-Ver­öf­fent­li­chung! Diesmal durch sein um 60 Jahre verzögertes Geständnis, er sei in der Waffen-SS gewesen. Helle Aufregung bei all denen, die sich professionell aufregen, Experten werden befragt, wie diese Nachricht denn nun einzuschätzen sei, ob Grass als moralische Instanz beschädigt würde, ob seine Bücher nun nichts mehr wert sind oder was sonst noch Schreckliches geschehen könnte. Von Marcel Reich-Ranicki habe ich bislang noch nichts gelesen, aber da kommt sicherlich auch noch was. Ich dagegen frage mich, was sich denn eigentlich geändert hat?

Dass Grass als Jugendlicher bis zur Kapitulation an den Endsieg geglaubt hat, konnte, wer wollte, problemlos nachlesen. Dass Grass als junger Mensch im Krieg aktiv war, ebenso. Dass er zu den Verblendeten und Verführten gehört hat – wie viele andere auch – war ebenso bekannt. Nun wissen wir, dass er eine andere Uniform getragen hat, als bislang angenommen wurde – so what? Grass hat keine Kriegsverbrechen begangen, nicht einmal in einer Einheit gedient, der Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden.

Sein Biograph Michael Jürgs aber erklärt in einem Gespräch im Deutschlandradio die »moralische Instanz Grass« für »eigentlich erledigt«, weil – wie er Kempowski nachsprach – das Bekenntnis »ein wenig spät« gekommen sei. Selbst die Gutwilligen halten Grass die zahlreichen Gelegenheiten vor, bei denen er sich hätte offenbaren können, »ohne dass man ihm einen Vorwurf daraus gemacht hätte«. Man hätte wahrscheinlich nur so reagiert wie jetzt – da versteht man gleich, warum er so lange zu schweigen versucht hat.

Nehmen wir die Aufregung mal für einen kurzen Moment lang ernst, selbst wenn wir wissen, dass es nur Mediengeschrei ist: Grass ist über viele Jahre hinweg zu einer Medien-Ikone aufgebaut worden. Auf der Liste der zehn Top-Denker Deutschlands der Zeitschrift »Cicero«, einem weithin unbekannten intellektuellen Fachblatt, steht Grass auf Position 1. Er hat dort Harald Schmidt um Haaresbreite geschlagen. So sieht das mit den »Denkern« in Deutschland nämlich aus. Anders gesagt: Grass war immer schon eitel genug, um zu jeder Sache eine Meinung zu haben, von der er wusste, dass sie einer ausreichend großen und medienmächtigen Minderheit in den Kram passen würde. Der Minderheit war Grassens Votum immer recht, und spätestens nachdem er den Literatur-Nobelpreis erhalten hatte, war kein Halten mehr.

Dabei waren Grassens Meinungen immer schon windig. Er neigte dazu, zu komplizierten Sachverhalten einfache Ansichten zu pflegen, weniger mit differenzierten Analysen zu glänzen als vielmehr mit einer aufrechten, moralisierenden Pose, sich mehr auf seine Stimm- als auf seine Denkkraft zu verlassen. Als Schriftsteller hat er Unmengen von unliterarischem und unlesbarem Schamott geliefert – ich erinnere mich mit Grausen an »Die Rättin« und »Der Butt«; »Das weite Feld« war wenigstens in der ersten Häfte einigermaßen erträglich –, und einige wenige denken auch heute noch, dass es das bestgehütete Geheimnis von Günter Grass ist, dass er gar keine Romane schreiben kann. Schon 1981 hat Friedrich Dürrenmatt in einem Interview die schöne Äußerung getan:

Günter Grass hat mir sehr höflich den Butt versprochen, aber er hat ihn dann nie geschickt, also brauchte ich ihn auch nicht zu lesen. Der Grass ist mir einfach zu wenig intelligent, um so dicke Bücher zu schreiben.

Das hat mir schon damals aus der Seele gesprochen. Dies »späte Bekenntnis« ist eine gute Gelegenheit, Grass als das zu durchschauen, was er seit vielen Jahrzehnten ist: Die erfolgreiche Marketingstrategie einer Interessengruppe. Dass er selbst das bislang nicht begriffen zu haben scheint, macht ihn so erfolgreich. – »Nachbarin! Euer Fläschchen!«

John Steinbeck: Tortilla Flat

106060846_41dd06354eEin immer noch ganz wundersames Buch, das wahrscheinlich von den meisten Lesern literarisch unterschätzt wird, weil es sich so angenehm und amüsant liest. Tatsächlich steckt es voller literarischer Bezüge und Parodien: Nicht nur ist es eine subtile Satire auf die europäische Adelsgesellschaft, sondern Steinbeck parallelisiert seinen Gruppe von Tagedieben ganz bewußt mit Artus und seiner Tafelrunde, die im Gegenzug als edle Räuberbande erscheinen. Außerdem steckt natürlich ein gerüttelt Maß an »Don Quixote« im Buch und zugleich auch viel vom »Lazarillo« und seinen Brüdern. Steinbeck erweist sich bei näherer Betrachtung als ein Autor mit gewichtigen literarischen Wurzeln. Dass er aus diesen Wurzeln eine so eingängige Kunst herauszutreiben versteht, zeichnet ihn umso mehr aus.

Auch dieses Buch ist wie »Von Mäusen und Menschen« noch in der schlechten Übersetzung von Elisabeth Rotten im Handel. Es ist zu hoffen, dass die Reihe der Steinbeck-Neuübersetzungen im Zsolnay Verlag auch diese Ausgabe bald ersetzt.

Steinbeck, John: Tortilla Flat. Deutsch von Elisabeth Rotten.
Roman
dtv. ISBN 3-423-10764-2
Kartoniert – 176 Seiten – 7,50 Eur[D]

John Steinbeck: Von Mäusen und Menschen

84998200_1985ed1e21Das Buch selbst ist ein Klassiker und gehört für zahlreiche deutsche Leser dem Kanon ihrer Schullektüre im Englischunterricht an. Der Text kommt dem Verständnis entgegen durch seine klaren intentionalen Strukturen, seine theatralische Form und seine bewusst einfache Sprache (sieht man einmal von den eventuellen Schwierigkeiten deutscher Leser mit der von Steinbeck phonetisch abgebildeten Alltagssprache ab) und ist daher für eine schulische Lektüre gut geeignet.

Es ist allerdings aus dem gleichen Grund unverständlich, dass gerade diese Übersetzung aus dem Jahr 1940 durch Elisabeth Rotten noch immer lieferbar ist. Ohne der Übersetzerin einen Vorwurf machen zu wollen, besonders da mir die näheren Umstände, unter denen sie gearbeitet hat, nicht bekannt sind, muss man feststellen, dass ihre Übertragung eine mittlere Katastrophe darstellt. Nicht nur trifft Rottens besserwisserische Übersetzungsmethode Steinbecks Ton höchstens einmal zufällig, ihr Vokabular ist gänzlich unzureichend, viele idiomatische Phrasen sind ihr unbekannt und werden daher aufs Geratewohl übertragen und hier und da läßt sie ganze Sätze oder Satzteile einfach aus, ohne dass dafür andere Gründe als Flüchtigkeit erkennbar wären. Warum dtv diese Version des Textes immer noch im Druck hält, wird noch unverständlicher durch die Tatsache, dass mit der Neuübersetzung von Mirjam Pressler eine um Klassen bessere Alternative im selben Verlag vorliegt, wenn sie auch deutlich teuer ist als die alte Ausgabe.

Steinbeck, John: Von Mäusen und Menschen. Deutsch von Elisabeth Rotten.
dtv, 1987. ISBN 3-423-10797-9
Kartoniert – 120 Seiten – 6,00 Eur[D]

Empfohlene Ausgabe:
Steinbeck, John: Von Mäusen und Menschen
Deutsch von Mirjam Pressler
dtv, 2002. ISBN 3-423-62072-2
Kartoniert – 144 Seiten – 7,50 Eur[D]

Annette Pehnt: John Steinbeck

75985123_5843951f57Die derzeit einzige lieferbare deutschsprachige Biographie zu John Steinbeck, dessen Bücher allerdings in einer überraschenden Breite in deutscher Übersetzung vorliegen, was darauf hindeutet, dass sie nicht viel von ihrer Popularität verloren zu haben scheinen – allen voran natürlich »Von Mäusen und Menschen«, das zumindest im Englischunterricht noch zum Kanon gehört.

Die Biographie von Annette Pehnt ist in der Reihe »dtv portrait« erschienen, mit der dtv in direkte Konkurrenz zu den Rowohltschen Bildmonographien getreten ist. Auch diese Konkurrenz belebte das Geschäft, denn nach einer längerern Phase der Stagnation hat sich in den vergangenen Jahren das Niveau der Rowohltschen Bildmonographien sehr erfreulich entwickelt: Viele ältere und kaum mehr brauchbare Bände der Reihe sind durch neu verfasste ersetzt und auch Lesefreundlichkeit und Erscheinungbild sind verbessert worden. Die dtv-Reihe ist bei weitem nicht so umfangreich wie die Rowohltsche, steht aber, was die Attraktivität der Bände angeht, der Konkurrenz in nichts nach. Im Fall des vorliegenden Bandes ist der Buchblock sogar fadengeheftet und das bei einem Preis von 8,50 €. Mit solchen Büchern kann man arbeiteten.

Die Biographie von Annette Pehnt informiert leider nur sehr knapp über den eigentlich biographischen Stoff, erzählt dafür aber auf vielen Seiten Inhalte der wichtigsten Bücher Steinbecks nach. Ich kenne nun die englischsprachige Literatur zu Steinbeck nicht, kann mir also kein Bild davon machen, wie forschungsaufwendig eine andere Gewichtung des präsentierten Materials gewesen wäre. Mir wäre es nur eben lieber gewesen, wenn ich mehr zu Steinbeck selbst erfahren hätte, da ich die Bücher selbst lesen kann und will.

Grundsätzlich leidet diese Biographie daran, dass sie den Eindruck vermittelt, dass die Autorin Steinbeck als Menschen nicht mag und als Autor bestenfalls für drittranging hält. Mit dem letzteren mag sie vielleicht sogar Recht haben, aber man kann auch über einen drittrangigen Autor, besonders über einen, dessen Bücher auch fast 40 Jahre nach seinem Tod noch ungebrochen populär sind, sicherlich interessanteres sagen als immer wieder ›trotz der schwerwiegenden Schwächen des Buches‹ oder ähnliches. Das »Phänomen Steinbeck«, dem sein Erfolg ein Anlass dazu war, sich als Autor zu misstrauen, beschreibt Pehnt zwar, verweigert aber jegliche Analyse. Stattdessen stellt sie mit derselben Naivität, die sie dem Autor Steinbeck an zahlreichen Stellen attestiert, ihr buntes Bild der Welt neben dessen Bücher und hält dies anscheinend für eine Form der kritischen Auseinandersetzung. Ganz drollig gerät es, wenn sie versucht, gut feministisch Steinbeck seinen Machismo vorzuhalten und durch gleichzeitige Kritik des weiblichen Gegenlagers eine ausgleichende Ungerechtigkeit herzustellen.

Leider kein gutes Buch, das sich nur für eine erste, oberflächliche Information eignet.

Pehnt, Annette: John Steinbeck
dtv, 1998. ISBN 3-423-31010-3
Kartoniert – 160 Seiten – 8,50 Eur[D]