Endlich, sagte Fina, jetzt hat’s ihn erwischt, er ist verliebt.
Diese Erzählung erschien zum ersten Mal 1967 in Barcelona, da Vargas Llosa damals bereits in Spanien lebte und in seiner Heimat Peru kein Verlag das zumindest für die 60er Jahre sowohl stilistisch als auch thematisch ungewöhnliche Buch drucken wollte. Die Erstveröffentlichung enthielt bereits die jetzt bei Suhrkamp erstmals auch von einem deutschen Verlag realisierte Kombination des Textes von Vargas Llosa und der 35 Schwarz-Weiß-Fotografien Xavier Miserachs’. Zwar dokumentieren die Bilder offensichtlich die frühen 60er Jahre in Spanien während die Erzählung selbst in den späten 20er und den 30er Jahren in Lima spielt, doch bis auf das veränderte Kostüm illustrieren die Bilder das von der Erzählung präsentierte Lebensgefühl ganz exzellent.
Der Text verweigert eine einfache Einordnung seiner Erzählform: Er wird offensichtlich als biografische Erinnerung eines älteren Erzählers an seine Jugend präsentiert, dort schwankt die Erzählperspektive ständig zwischen einer nahen, kollektiven Wir- und einer distanzierteren, auktorialen Position, wobei der Wechsel zumeist mitten im Satz stattfindet. Da zudem die wörtliche Rede nicht ausgezeichnet wird, kann es zumindest anfänglich zu Irritationen beim Leser kommen:
Auch ihnen, die wir anfangs noch aufpassten, Cuéllar, Kumpel, rutschte es immer öfter raus, ganz aus Versehen, Kamerad, ganz automatisch, Amigo: Pichulita, und er knallrot, wie?, oder kreidebleich, du auch, Chingolo?, die Augen aufgerissen, Mann, entschuldige, war keine böse Absicht, er also auch?, sein Freund? …
Doch liest sich der Text nach einer kurzen Eingewöhnungsphase sehr flüssig (was sicherlich auch der Neuübersetzung zu danken ist, die Suhrkamp der Erzählung spendiert hat), und wenn man ihn in einem Zug liest, gewöhnt man sich so vollständig an den ständigen Perspektivwechsel, dass man gegen Ende bewusst nachschaut, ob er denn überhaupt noch benutzt wird. Wenigstens mir erging es so.
Erzählt wird die Geschichte einer Gruppe von fünf Schulfreunden, wobei das Schicksal des jungen Cuéllar im Zentrum steht. Cuéllar wird kurz nachdem er in die Klasse der anderen gekommen ist und sich als ein exzellenter Schüler erwiesen hat, nach einer Sportstunde von einem Hund angefallen und durch einen Biss um sein Geschlechtsteil gebracht. Zwar überlebt er die Attacke, doch ist er von dem Augenblick an ein Außeseiter in der Gruppe, auch wenn das lange Zeit keiner seiner Freunde auch nur wahrnehmen will. Offensichtlich wird Cuéllars Lage aber, als die ersten der Clique Freundschaften mit Mädchen beginnen: Cuéllar, der inzwischen den Spitznamen Pichulita (Schwänzchen) trägt, reagiert zuerst aggressiv, sondert sich dann ab, kehrt jedoch immer wieder zur Gruppe zurück. Er huldigt dem Machismo auf seine Weise, indem er ein herausragender und waghalsiger Sportler und Autofahrer wird, aber er traut sich aus verständlichen Gründen nicht, eine Freundschaft mit einem Mädchen zu beginnen. Als er sich schließlich doch gegen seinen Willen verliebt, wird er für eine Weile geselliger und normaler, doch spitzt sich seine Lage durch diese Verliebtheit nur noch weiter zu, da sie seine Verzweiflung über die Unmöglichkeit einer sexuellen Erfüllung einer Beziehung zum Grundgefühl seiner Existenz werden lässt.
Es macht den Rang Vargas Llosas aus, dass er darauf verzichtet, Cuéllar ein noch tragischeres Ende nehmen zu lassen als ohnehin sein Leben schon war. Die Freunde verlieren sich über Studium, Arbeit und Gründung einer Familie wie zu erwarten mehr und mehr aus den Augen; Cuéllar lebt für eine Weile in den Bergen, geht dann in den Norden Perus und wird Opfer seines riskanten Fahrstils. Der Leser bleibt mit dem Erzähler ratlos zurück, wie diesem Jungen auf Erden zu helfen gewesen wäre; sein Elend ließ sich erzählen, aufzuheben war es nicht.
Ein beeindruckend dicht erzählter Text, dem es wie nebenbei gelingt, das Lebensgefühl wohl einer ganzen Generation junger Männer darzustellen. Unbedingt lesenswert!
Mario Vargas Llosa: Die jungen Hunde. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Mit Fotografien von Xavier Miserachs. Berlin: Suhrkamp, 2011. Pappband, Fadenheftung, 98 Seiten, davon 48 Seiten mit 35 Schwarz-Weiß-Fotografien. 24,90 €.