Albert Camus: Der Mythos vom Sisyphos

3-499-55090-3Camus heroischer Existenzialismus ist nach beinahe 30 Jahren zu einer blassen Enttäuschung geschrumpft. Ich hatte ohnehin nicht viel erwartet, aber dass es so wenig sein würde, hätte ich nicht gedacht. Ein bedeutender Teil des ohnehin dünnen Büchleins besteht in flachen Auseinandersetzungen mit Positionen anderer, die weitgehend unnötig erscheinen, da sie keinerlei Beweiskraft haben und nur als negative Folie für den einzig dünnen Gedanken des Buches tragen: das Trotzdem. Camus weist natürlich alle traditionellen Angebote der transzendenten oder immanenten Sinngebung zurück. Der Mensch stehe daher dem Absurden seiner Existenz gegenüber. Er antworte auf das Absurde seiner Existenz, indem es ihm nichts ausmache. Obwohl es ihm natürlich etwas ausmacht, denn ansonsten wäre ja auch der Begriff des Absurden überflüssig. Also macht es ihm nichts aus, dass es ihm etwas ausmacht. Welch tiefer Gang zu den Müttern!

Der einzige wirkliche Gedanke des Buches ist, dass Sisyphos in den Momenten am interessantesten ist, wo er bergab dem Stein nachgeht. Dass Sisyphos aber der bewusste »Prolet der Götter« sei, ist schon wieder eine Albernheit mehr.

Erinnernswert scheint, dass dieses Buch noch in den 80-ern des vergangenen Jahrhunderts von uns Jugendlichen emphatisch diskutiert worden ist, also von Menschen, denen die Realität ihrer Sisyphos-Existenz noch gar nicht gegenwärtig war. Als wir anfingen, den Stein zu rollen, war das Buch in uns bereits verblasst.

Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, die neue Übersetzung von Vincent von Wroblewsky anzuschauen, sondern habe meine alte Ausgabe von Januar 1980 benutzt. Vielleicht liegt es auch daran …

Albert Camus: Der Mythos vom Sisyphos. Übertragen v. Hans Georg Brenner u. Wolfdietrich Rasch. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 226.–235. Tausend, 1980. 151 Seiten.

Terry Eagleton: Der Sinn des Lebens

978-3-550-08720-2 Jedem, der sich mit dem Thema dieses Buchs mehr als nur oberflächlich beschäftigt hat, dürfte seine überwältigende Schwierigkeit klar sein. Für seine ernsthafte Behandlung wäre nicht nur eine grundlegende Bestimmung dessen zu leisten, wonach die Frage nach dem Sinn überhaupt fragen soll, sondern auch eine Abgrenzung gegenüber allen nicht philosophischen Ansätzen, nicht nur denen der Religionen, sondern auch denen der sogenannten Esoterik. Dazu wäre eine systematische Aufarbeitung dieser Angebote notwendig, um wenigstens einige Hoffnung haben zu können, zu einer eigenständigen und wesentlich philosophischen Antwort zu gelangen. Andererseits muss die Chance, tatsächlich zu einer solchen Antwort zu gelangen, angesichts von 2.500 Jahren Philosophiegeschichte als nahezu aussichtslos eingeschätzt werden: Wäre eine allgemeingültige oder wenigstens allgemein akzeptable Antwort gefunden worden, so wäre das wohl kaum jemandem unbekannt.

Was ist also von einem knapp 160 Seiten starken Buch zu diesem Thema zu erwarten? Nichts! Und genau so ist es auch. Professor Eagleton hat sich die Mühe gemacht, eine Zeit lang alles aufzuschreiben, was ihm zur Frage nach dem Sinn des Lebens durch den Kopf gegangen ist. Besondere Sorgfalt hat er nicht walten lassen; auch sonderlich sortiert hat er es anschließend nicht. Zwischendurch regt er sich mal über reiche Prominente auf, die er allerdings hauptsächlich aus dem »Goldenen Blatt« zu kennen scheint, dann räsoniert er einige Seiten über Samuel Becketts »Warten auf Godot«, wobei er eine genaue Kenntnis des Stücks beim Leser wohl einfach voraussetzt. Dann redet er wieder ein wenig über Wittgenstein, wozu ihm etwas bei Aristoteles einfällt. Achja, dann waren da ja auch noch Schopenhauer und Nietzsche, zwei wirklich unangenehme Zeitgenossen. Und dann gibt es noch diese eine Stelle bei Wittgenstein:

Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort. Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems.

Diese kurze Passage aus dem Tractatus logico-philosophicus kann vom Leser nur dann verstanden werden, wenn er weiß, wie die Sprachtheorie des frühen Wittgenstein funktioniert: Wittgensteins Konstrukt einer Idealsprache erlaubt ausschließlich ein Sprechen über konkrete Sachverhalte einer gegenständlichen Welt. Aufgrund dieser Struktur kann mit ihr nur über die »wissenschaftlichen Fragen« (die im Tractatus auch nicht identisch sind mit dem, was man sich gemeinhin darunter vorstellt) gesprochen werden. Wenn diese alle beantwortet wäre, bliebe aufgrund der Sprachstruktur keine mögliche, unbeantwortete Frage mehr übrig. Was übrig bleibt, darüber lässt sich nicht sprechen, wenigstens nicht in Wittgensteins Idealsprache.

Und wie lautet Professor Eagletons Kommentar zu diesen Sätzen?

Wie sollen wir diese kryptischen Sätze verstehen? Wittgenstein meint wahrscheinlich nicht, der Sinn des Lebens sei grundsätzlich eine Scheinfrage, sondern nur soweit es die Philosophie betrifft. […] Alle lebenswichtigen Fragen, so glaubte er, liegen außerhalb der strengen Grenzen des Subjekts. Der Sinn des Lebens ließ sich seines Erachtens nicht sagen, wie es in einer Tatsachenaussage geschieht, und für den frühen Wittgenstein hatten nur solche Aussagen Sinn. Wir erhaschen zumindest einen Blick auf den Sinn des Lebens, wenn wir erkennen, dass er nicht zu den Dingen gehört, die eine Antwort auf eine philosophisch sinnvolle Frage sein können.

Nein, Professor Eagleton, zumindest der frühe Wittgenstein meinte bestimmt etwas anderes und wahrscheinlich nicht das, was Sie sich da zusammenfaseln. Das mag für eine Konversation auf einer Gartenparty vielleicht gerade noch durchgehen, ist aber tatsächlich ein übles Gemisch aus Halbwissen und assoziativem Geraune. Und so ist im Wesentlichen das ganze Buch. Nirgends findet sich eine auch nur einigermaßen ernsthafte Auseinandersetzung mit einer der vorgeführten Positionen, alles bleibt im Beliebigen, und ich konnte während der Lektüre den Verdacht nicht loswerden, dass Eagleton eigentlich meint, man müsse nur wieder an den lieben Gott glauben, dann wäre alles in Ordnung. Und am besten als Katholik, denn die Protestanten sind eine üble, schwarzseherische und freudlose Bande – zumindest in Professor Eagletons Welt.

Alles im allen ein ärgerliches Buch, das deutlich hinter dem selbst gesetzten Anspruch zurückbleibt.

Terry Eagleton: Der Sinn des Lebens. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Berlin: Ullstein, 42008. Pappband, 159 Seiten. 18,– €.

Thomas Nagel: Was bedeutet das alles?

978-3-15-010682-2 Auch dieser Band entstammt der Reihe A Very Short Introduction der Oxford University Press. Das Schöne an dieser »ganz kurzen Einführung in die Philosophie« ist, dass sie dem akademischen Betrieb gänzlich fernsteht. Sie ist geschrieben für Menschen, die von Philosophie, ihren Methoden und Fragestellungen nur eine geringe oder gar keine Vorstellung haben. Nagel entwickelt an neun klassischen Themen der Philosophie – Erkenntnis, das Bewusstsein anderer, Leib/Seele, die Bedeutung von Wörtern, Willensfreiheit, Recht und Unrecht, Gerechtigkeit, Tod und Sinn des Lebens – jeweils eine Reihe von Antworten, die er immer wieder sokratisch hinterfragt, abwandelt und von anderer Seite neu aufgreift. Wie nebenbei markiert er in wenigen Worten treffsicher bestimmte philosophische Positionen, ohne dabei in irgendwelche ideologischen Debatten abzuschweifen.

So liefert er eine schlichte und gut verständliche Einführung in Kernbestände philosophischen Denkens, ohne Anspruch darauf, auch gleich Antworten bereit zu halten. Im ganzen Buch fällt – wenn ich es richtig erinnere – nicht ein einziger Name eines Philosophen. Alles bleibt auf die Sache bezogen, nichts wird historisiert. Das könnte man unangemessen finden, da philosophische Antworten natürlich immer zugleich auch historische Antworten sind. Dem steht entgegen, dass Nagel mit dieser Vorgehensweise das Feld der Philosophie gerade jenen öffnet, die zwar an einer Auseinandersetzung mit den Fragestellungen interessiert sind, die aber nicht gleich den gesamtem Ballast der Philosophiegeschichte mit stemmen wollen.

Ein frischer, origineller und weitgehend voraussetzungsloser Zugang zur Philosophie.

Thomas Nagel: Was bedeutet das alles? Eine ganz kurze Einführung in die Philosophie. Aus dem Englischen übersetzt von Michael Gebauer. Stuttgart: Reclam, 2008. Pappband, 108 Seiten. 6,90 €.

Richard Dawkins: Der Gotteswahn

dawkins_gotteswahnWieder einmal mehr ein Beleg dafür, dass es einem Autor gar nichts nützt, Recht zu haben. Dawkins, seit vielen Jahren einer der lautstarken Vertreter der Evolution als naturwissenschaftlicher Übertheorie – im Grunde lässt sich alles durch die Evolution erklären und sollte sich tatsächlich etwas nicht durch die Evolution erklären lassen, so lässt sich wenigstens diese Unmöglichkeit aus der Evolution erklären –, hat hier zu einer breiten Polemik gegen »die Religion« angesetzt, behandelt aber hauptsächlich die Auswüchse des Christentums und des Islams. Das ist besonders im zweiten Teil ganz witzig, wenn Dawkins seitenweise christlich-fundamentalistischen Unfug zitiert. Natürlich ist das alles pro domo geschrieben, wenn auch immer wieder behauptet wird, es gehe um »die Wahrheit«. Es geht im Gegenteil um Forschungsgelder und Projektmittel, die durch kreationistischen Blödsinn gefährdet sind, wenn christliche Fundamentalisten sich mit Politikern in wichtigen Schaltstellen verbünden.

Die Schwäche von Dawkins’ Standpunkt zeigt sich an einer Frage, die er selbst so formuliert:

Damit will ich nicht sagen, dass wir die Ansichten dieser Leute [der Religionsvertreter] um jeden Preis zensieren sollten, aber warum rollt die Gesellschaft ihnen den roten Teppich aus, als hätten sie eine ähnliche Fachkenntnis wie beispielsweise ein Moralphilosoph, ein Familienanwalt oder ein Arzt? [S. 36]

Ja, warum tut die Gesellschaft das? Diese Frage bleibt im Buch letztlich unbeantwortet, was Dawkins aber nicht groß zu stören scheint. Unverkennbar haben Religionen eine unverzichtbare Funktion in ihren Gesellschaften, da sie die Angriffe der Aufklärung in den letzten 300 Jahre ansonsten kaum so gut überstanden hätten, wie sie es getan haben. Sicherlich haben sie in der weitgehend säkularen Realität der westlichen Welt nicht mehr die Macht und den Einfluss, der sie einst ausgezeichnet hat, aber sie sind offenbar immer noch recht aktive Teilnehmer an den Diskursen um Moral, Menschen- und Weltbild. Zum Verständnis dieses Phänomens ist es wenig hilfreich, den entsprechenden Standpunkt gebetsmühlenartig immer erneut als »irrational« zu bezeichnen. Damit rennt man nur offene Türen ein: Selbstverständlich ist der Glaube an Gott als Schöpfer der Welt und an seine Vertreter auf Erden als moralische Instanzen irrational, aber was schadet das? Angesichts der Tatsache, dass es der Rationalität weder gelungen ist, eine rationale Letztbegründung der Moral zu leisten, noch sie in der Lage ist, dem Laien die Frage nach der Herkunft des Universums verständlich zu beantworten, ist es nur wenig verwunderlich, dass irrationale Konzepte der Religionen weiterhin weltweit erfolgreich sind.

Selbstverständlich ist Dawkins darin zuzustimmen, dass es am Ende nur den Wissenschaften gelingen wird, ein Weltbild zu erzeugen, das wenigstens in irgendeiner Weise eine Annäherung an die Wirklichkeit darstellt. Aber wozu soll das gut sein, wenn dieses Weltbild mehr als 99 Prozent aller Menschen – und darunter eben auch politische Entscheidungsträger – von einem Verständnis eben dieses Weltbildes ausschließt? Für den »normalen Menschen« heißt es schon heute, sich zu entscheiden zwischen zwei Glaubensrichtungen: Der der Religionen oder der der Naturwissenschaft – die eine ist ihm so rational oder irrational wie die andere. Und die Naturwissenschaften werden noch unverständlicher werden, sich immer noch weiter von einem alltäglichen Verstehen der Welt entfernen. Was geht uns der Urknall an? Was soll daran vorteilhaft sein, dass die Urknall-Theorie angeblich besser mit irgendwelchen »Tatsachen« und »Belegen« übereinstimmt als die Schöpfungsgeschichte? Sicherlich: Für diejenigen, die der Bruder- oder meinetwegen Schwesternschaft der Wissenschaft einmal beigetreten sind, liegt alles glasklar auf der Hand. Aber was ist mit denen, die außen vor stehen und immer außen vor stehen werden? Für sie ist es wenig hilfreich, wenn sie von Herrn Dawkins über vielen Seiten hinweg als Idioten beschimpft werden.

Insgesamt scheitert das Buch an seinem Thema, da es Dawkins nicht gelingt, ein ausreichendes Verständnis für die Funktion der Religion in der Gesellschaft zu entwickeln. Seine Polemik bleibt selbstverliebt und oberflächlich. Dawkins entwickelt keinen Sinn dafür, dass die Wissenschaften den meisten Menschen kryptischer und irrationaler erscheinen als die Religionen und dass eine andere große Gruppe heute an die Wissenschaft genau so glaubt, wie sie früher an eine Religion geglaubt hätte. Dawkins entwickelt keinen Sinn für die Grenzen und Mängel des wissenschaftlichen Weltbildes und für dessen nur mangelhafte Leistungen, wenn es darum geht, dem Leben des Einzelnen einen Sinn zu vermitteln. Natürlich gelingt das auch einer Religion nicht »wirklich«, aber es scheint vielen Menschen doch besser zu sein als nichts.

Dass aber auch das Denken so gar nichts helfen will!

Richard Dawkins: Der Gotteswahn. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Berlin: Ullstein, 2007. Pappband, 575 Seiten. 22,90 €.

Ayn Rand: Atlas Shrugged

rand_atlas Ziemlich fürchterliches Machwerk aus den 50er Jahren, geschrieben von einer russischen Emigrantin, die versucht, liberaler als Adam Smith zu sein. Es scheint bis heute in den USA eine nicht unbeträchtliche Anzahl von »Anhängern« zu haben. Dabei handelt es sich weniger um ein literarisches Werk, als vielmehr um eine ideologische Abhandlung im Gewand eines fiktionalen 1.000-Seiters. Die Autorin hatte ursprünglich erhebliche Schwierigkeiten, einen Verlag für ihr Machwerk zu finden, da alle vernünftigen Leute ihr anrieten, das Buch erheblich zu kürzen. Dass sie sich schließlich durchgesetzt hat, entspricht ganz und gar der rechthaberischen und verbiesterten Grundhaltung, die dieses gänzlich humorlose Werk auszeichnet.

Erzählt wird von einer zeitlich nicht genauer bestimmten utopischen Zukunft. Technisch scheint man sich in etwa auf dem Niveau der 30er-Jahre zu befinden: Eisenbahnen bilden das hauptsächliche Fernverkehrsmittel, Flugzeuge sind noch keine ernsthafte Konkurrenz zur Eisenbahn, Automobile aber schon gebräuchlich; neben Zeitungen ist das wichtigste Massenmedium das Radio, während das Fernsehen nicht zu existieren scheint. Dieser technologisch relativ genauen Ortsbestimmung, steht eine gänzlich fiktive Weltordnung gegenüber: Der Großteil der Länder in Europa und Südamerika scheint sozialistisch oder kommunistisch organisiert zu sein, was nahezu ausschließlich in der Bezeichnung all dieser Länder als »Volksrepubliken« zum Ausdruck kommt – die Autorin bleibt genauere Auskünfte darüber, wie diese Länder tatsächlich staatlich organisiert sind ebenso wie über vieles andere schuldig. Zumindest in den USA und Argentinien scheint der Privatbesitz an Produktionsmitteln aber nicht eingeschränkt zu sein. Doch herrscht in den USA keine freie Marktwirtschaft, da das wirtschaftliche Geschehen von mächtigen Interessenverbänden, die als legale Kartelle agieren, beherrscht wird. Weltweit herrscht Mangelwirtschaft, wobei die Autorin suggeriert, dies sei keine Folge eines objektiven Mangels an Ressourcen, sondern der rigiden wirtschaftlichen Beschränkungen durch die Kartelle bzw. die sozialistischen Regierungen.

Vor diesem Hintergrund wird das Leben Dagny Taggarts erzählt, die zusammen mit ihrem Bruder eines der größten US-amerikanischen Eisenbahn-Unternehmen leitet. Das Unternehmen befindet sich in einer ernsthaften Krise, aus der sich allerdings ein Ausweg weist, den Dagny mit der Hilfe des Stahlfabrikanten Henry Rearden, der gerade eine neue, leichtere und leistungsfähigere Stahlvariante erfunden hat, zu realisieren versucht. Beide stoßen dabei auf heftigen Widerstand der Kartelle – zu deren Vertretern auch Dagnys Bruder gehört –, den sie aber aufgrund ihrer herausragenden Persönlichkeiten und ihres genialen Erfindungsreichtums glanzvoll überwinden können.

Als zusätzliche Schwierigkeit erweist sich, dass das wirtschaftliche Geschehen vom einem Geheimbund beeinflusst wird, dessen mythenumwitterter Anführer John Galt sich im letzten Drittel des 1.000-Seiters in einer dreistündigen Radioansprache offenbart. Ziel dieses Geheimbundes ist es, alle kreativen Köpfe der ganzen Welt aus dem Verkehr zu ziehen, um ihre Ausnutzung durch die mediokre Mehrheit der Menschen zu unterbinden. Das Konzept ist exakt so dämlich, wie es sich anhört.

Da die Fabel des Romans bereits nach einem Drittel ziemlich klar umrissen ist und die zahlreichen Charaktere nahezu ausschließlich funktional bestimmt sind, erschöpft sich das Konzept des Buches rasch. Da es zudem sprachlich und motivisch trivial bleibt, ist es literarisch von keinerlei Bedeutung. Würde es sich darin erschöpfen, wäre es sicherlich längst und zu Recht vergessen.

Was das Buch im Druck hält, ist die vom Anführer vertretene Ideologie, ein kruder moralischer Egoismus, der in der schon erwähnten dreistündigen Radioansprache in einem extrem redundanten Stil ausgebreitet wird. Die Position selbst ist philosophisch indiskutabel, besteht ausschließlich aus einer Aneinanderreihung von Thesen und sogenannten Axiomen in einem sehr minimalistischen argumentativen Umfeld und wird im Ton anmaßender Überheblichkeit vorgetragen. Es scheint für diese Art des Hau-Ruck-Denkens, das sich formal nur unwesentlich von dem der Scientologen oder der Zeugen Jehovas unterscheidet, eine nicht unbedeutende Anzahl von Abnehmern zu geben.

Die Lektüre dieses Buches ist in jeder Hinsicht Zeitverschwendung.

Ayn Rand: Atlas Shrugged. London: Signet, 271997. Broschur, 1079 Seiten. Ca. 7,– €.

Enzensberger: Im Irrgarten der Intelligenz

enzensberger-irrgarten Hans Magnus Enzensberger hat es mal wieder witzig gemeint und die Pointe nicht recht rübergebracht. Sein »Idiotenführer«, wie er das Büchlein selbst nennt, versucht eine Kritik der gerade wieder grassierenden Intelligenz-Hysterie, allerdings unterläuft sein Text die Latte einer ernsthaften Auseinandersetzung deutlich. Einzig originell ist sein Ansatz, die Intelligenz als »Tugend« der modernen Gesellschaft anzusprechen; allerdings folgt aus dieser Einordnung schlicht nichts, wie aus den meisten anderen gedanklichen Ansätzen des Bändchens auch. Das Ding ist sicherlich gut gemeint, aber das war es dann auch. Wie Tucholsky so richtig festgestellt hat:

Und wenn es gar nichts geworden ist, dann sag, es sei ein Essay.

gould-vermessen Wichtig ist das Büchlein einzig und allein, weil es wieder einmal an ein wirklich bedeutendes Buch zum Thema Intelligenzforschung und -messung erinnert, das aufgrund seines Alters droht, in Vergessenheit zu geraten: Stephen Jay Goulds Der falsch vermessene Mensch. Alles Relevante, was Enzensberger zu sagen hat, steht schon bei Gould, und es steht hier in einem sauberen, wissenschaftlichen Argumentationszusammenhang. Goulds Kritik der Intelligenz-Industrie zeigt stringent, dass völlig unklar ist, was Intelligenztests eigentlich messen bzw. dass das, was sie messen, wahrscheinlich nicht mehr ist, als die Fähigkeit des Geprüften, einen Intelligenztest auszufüllen. Zudem liefert seine Darstellung der mit dem Intelligenzbegriff verknüpften Vorurteile von Vererbung und rassischen Unterschieden, die diese Tests angeblich nachweisen, eine unverzichtbare soziologische Rahmung, die die Karriere des Konzepts Intelligenz erst begreiflich und zugleich inakzeptabel macht. Diesen Zusammenhang ignoriert Enzensberger nahezu komplett – obwohl er Goulds Buch benutzt und anführt –, so dass seine Kritik weitgehend beliebig bleibt.

Hans Magnus Enzensberger: Im Irrgarten der Intelligenz. Ein Idiotenführer. edition suhrkamp 2532. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2007. 59 Seiten. 7,– €.

Stephen Jay Gould: Der falsch vermessene Mensch. suhrkamp taschenbuch wissenschaft 583. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1988. 394 Seiten. 15,– €.

Nicht allein der Untergang des Abendlandes …

spengler1Der Status von Spenglers Hauptwerk als Klassiker ist allein dadurch belegt, dass sein Titel als eine feste Größe in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist und sich der Name des Autors fest mit dieser Phrase verbunden hat, ohne dass der Großteil der heutigen Benutzer mehr als eine vage Vorstellung davon haben, welche Gedanken und Begründungszusammenhänge am Ursprung der Phrase mit diesen Worten verbunden wurden. Spenglers Hauptwerk ist dazu auch zu umfang- und voraussetzungsreich; zudem ist seine Sprache dicht und durchweg anspruchsvoll und verstellt eine Kenntnisnahme en passant. Trotz diesen einigermaßen hohen Hürden muss man den ersten Band des »Untergangs« wahrscheinlich als eines der einflussreichsten philosophischen Werke der Weimarer Zeit ansehen: Am Ausgang des Ersten Weltkrieges erschienen, erlebte er in kürzester Zeit zahlreiche Auflagen; 1922 erschien der zweite Band und ein Jahr später die Neubearbeitung des ersten, ohne den anfänglichen Erfolg wiederholen zu können, der im Jahr 1918 sicherlich wesentlich dem Zusammentreffen von Katastrophenstimmung und Titel zu danken gewesen war.

»Der Untergang des Abendlandes« war vielfältiger und nicht immer sachlicher Kritik ausgesetzt. Allerdings stammt die einsichtsvollste Rezeption des Buches wahrscheinlich von Theodor W. Adorno, dessen immer noch sehr lesenswerter Aufsatz »Spengler nach dem Untergang« (auf der Grundlage ein Vortrags von 1938 in Englisch bereits 1941 erschienen; auf deutsch 1950 im »Monat«) eine intensive und Spengler durchaus sehr ernstnehmende Auseinandersetzung dokumentiert.

Wenn die Geschichte der Philosophie nicht so sehr in der Lösung ihrer Probleme besteht als darin, daß die Bewegung des Geistes jene Probleme wieder und wieder vergessen macht, um die sie sich kristallisiert, dann ist Oswald Spengler vergessen worden mit der Geschwindigkeit der Katastrophe, in die, seiner eigenen Lehre zufolge, die Weltgeschichte überzugehen im Begriff ist. Nach einem populären Anfangserfolg hat sich die öffentliche Meinung in Deutschland sehr rasch gegen den ›Untergang des Abendlandes‹ gekehrt. Die offiziellen Philosophen warfen ihm Flachheit vor, die offiziellen Einzelwissenschaften Inkompetenz und Scharlatanerie, und im Betrieb der deutschen Inflations- und Stabilisierungsperiode wollte niemand etwas mit der Untergangsthese zu schaffen haben. Spengler hatte sich mittlerweile durch eine Reihe kleinerer Schriften anmaßenden Tones und wohlfeiler Antithetik so exponiert, daß die Ablehnung dem gesunden Lebenswillen leicht genug wurde. [GS 10., S. 47.]

Die digitale Ausgabe von Spenglers Hauptwerk innerhalb der Digitalen Bibliothek versammelt zusätzlich auch die von Adorno angeführten ›kleineren Schriften‹, so dass eine konzise Ausgabe Ausgewählter Schriften entstanden ist, die – und das ist ein besonderer Vorzug dieser Ausgabe – durch die Fragmente von Spenglers »Frühzeit der Weltgeschichte« abgerundet wurde.

Dass es bis heute ein populäres Interesse an Spenglers »Untergang« gibt, belegen die zahlreichen Buchausgaben. Allerdings lohnt eine gründliche Spengler-Lektüre nicht nur aus modisch-pessimistischer Perspektive, sondern auch aus kulturhistorischer: Bei Spengler überschneiden sich zwei bedeutende Einflusslinien des 19. Jahrhunderts – sowohl Goethe als auch Nietzsche haben Spenglers Denken geprägt, wie Spengler selbst gleich zu Anfang seines »Untergangs« betont.

Während Spengler von Goethe wesentlich die morphologische Grundidee seines Geschichtsbildes bezieht, also die Vorstellung davon, auch Kulturen besäßen als quasi organische Entitäten natürliche Phasen wie Jugend, Reife und Alter, liefert ihm Nietzsche die Vorstellung eines auf Macht und Erweiterung der Herrschaft gerichteten Willens, der als natürliche Triebfeder des geschichtlichen Prozesses begriffen wird. Diese Kombination, die dem Goetheschen Menschen- und Weltbild letztendlich wesentlich fremd werden muss, muss als eine der eingängigsten konservativ-pessimistischen Geschichtsphilosophien des 20. Jahrhunderts angesehen werden. Sie hat in ihrer grundlegenden Simplizität durchaus die Kraft zur Mythenbildung.

Dies soll nicht bedeuten, dass sich Spenglers komplexes und kenntnisreiches Werk, das sich mit einer Fülle von kulturellen Formen und Erscheinungen auseinandersetzt, auf eine solch einfache Formel reduzieren ließe oder dass eine solche Reduktion wünschenwert wäre. Im Gegenteil spiegeln Spenglers Werke in mehrfacher Brechung den widersprüchlichen Reichtum an lebensweltlichen und philosophischen Konzepten der Weimarer Kultur und erhellen manche Züge im Denken etwa Stefan Georges, Gottfried Benns oder Ernst Jüngers.

Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Ausgewählte Schriften. Digitale Bibliothek Band 152. Berlin: Directmedia Publishing, 2007. 1 CD-ROM. Systemvoraussetzungen: PC ab 486; 32 MB RAM; Grafikkarte ab 640×480 Pixel, 256 Farben; CD-ROM-Laufwerk; MS Windows (98, ME, NT, 2000 oder XP) oder MAC ab MacOS 10.3; 128 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk. Empfohlener Verkaufspreis: 30,– €.

Eine Software für Linux-User kann von der Homepage der Digitalen Bibliothek heruntergeladen werden.

Richard P. Feynman: Was soll das alles?

121017248_862d5f04d9Drei Vorträge, die Richard Feynman 1963 als Gast an der University of Washington gehalten hat, und die 1998 aus dem Nachlass veröffentlicht wurden. Ihr englischer Übertitel »The Meaning of It All« macht das Missverhältnis von Anspruch und Ausführung noch krasser deutlich, als seine doppeldeutige deutsche Übersetzung.

Der erste Vortrag beschäftigt sich mit »Ungewißheit in der Wissenschaft« und ist der einzige, dessen Lektüre man einigermaßen empfehlen kann. Feynman weist auf einem sehr populären Niveau auf die Notwendigkeit des Zweifels für alle wissenschaftliche Arbeit hin und darauf, dass die Grundeinsicht in die Vorläufigkeit aller Erkenntnis und die Unabgeschlossenheit des Forschungsprozesses Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche und produktive Wissenschaft sind.

Der zweite Vortrag beginnt mit unsystematischen Überlegungen dazu, inwieweit die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften Einfluss auf die religiösen Gefühle eines Menschen hat, um dann völlig unvermittelt in eine Philippika gegen die Sowjetunion überzugehen.

Den dritte Vortrag beginnt Feynman mit dem Bekenntnis, das worüber er habe reden wollen, sei bereits gesagt. Daher sage er nun, was ihm sonst noch so einfalle, und er selbst gäbe nicht viel darauf, was nun folge. Da hatte er Recht! Der dritte Vortrag ist eine Gemengelage zumeist unverbundener Themen, zu denen Feynman mehr oder weniger Platitüden zum Besten gibt. Einzig die Bemerkungen zur Erhebung und wissenschaftlichen Relevanz von Stichproben sind von einigem Interesse.

Insgesamt ein enttäuschendes und überflüssiges Buch und eine typische Nachlassveröffentlichung, von deren Lektüre fast ausnahmslos abgeraten werden kann. Das wenige Interessante, das zu finden ist, lässt sich anderswo ebensogut und besser finden.

Feynman, Richard P.: Was soll das alles? Gedanken eines Physikers. Aus dem Amerikanischen von Inge Leipold.
Piper, Sonderausgabe 2002. ISBN 3-492-04472-7
Gebunden – 153 Seiten – 9,90 Eur[D]

Harry G. Frankfurt: Bullshit

103220188_f96c1d10b9Eine sprachphilosophische Annäherung an den Begriff Bullshit, der – wie einige andere sprachliche Details – zum Glück unübersetzt bleibt. Nur der Titel ist etwas irreführend gewählt; das englische »On Bullshit« trifft den Inhalt des Büchleins genauer. Methodisch steht die Untersuchung Wittgensteins Spätphilosophie nahe, was sich aber in keiner Weise negativ auf die Verständlichkeit des Textes auswirkt. Insgesamt bestätigt der kurze Text wieder einmal das Vorurteil, dass der angelsächsischen Philosophie oft eine Leichtigkeit der Darstellung eigen ist, die in der deutschen Tradition nur selten erreicht wird. Der Autor nimmt weder sich, noch seinen Essay, noch sein Thema übermäßig ernst. Er schließt sich bewußt an eine Vorläuferuntersuchung an: Max Black: »The Prevalence of Humbug« (Ithaca, 1985). Frankfurts sprachphilosophische Reflexionen münden schließlich in einigen einfachen, aber treffenden Überlegungen zu Wahrheit und Lüge und inwieweit der Bullshitter in einem ambivalenten Verhältnis zu beiden steht. Von hier aus ließe sich die Untersuchung leicht in das Gebiet der klassischen Rhetorik und Philosophie verlängern, vielleicht beginnend mit Platons »Gorgias«.

Am schönsten an der deutschen Ausgabe ist die Bauchbinde, mit der der Suhrkamp Verlag das Buch ausliefert:

103229612_275d6e1632

Dies Zitat ist wahrscheinlich als praktische Übung für die Leser gedacht, denn nachdem man das Buch gelesen hat, weiß man mit einiger Sicherheit, was man schon geahnt hat: Bei diesem Satz handelt es sich um einen klassischen Fall von Bullshit, um so mehr wenn er als Werbeslogan gerade auf diesem Buch daherkommt.

Frankfurt, Harry G.: Bullshit. Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff.
Suhrkamp, 2006. ISBN 3-518-58450-2
Leinen, gelumbeckt – 73 Seiten – 8,00 Eur[D]