Die Erzählung spielt im Jahr 1951: Im Zentrum steht der Ich-Erzähler Marcus Messner, Sohn eines koscheren Metzgers aus Newark, der – so will uns der Text über eine weite Strecke glauben machen – zum Erzählzeitpunkt bereits verstorben ist. Marcus ist gerade 18 Jahre alt und bereitet sich am College von Winesburg in Ohio auf ein Jura-Studium vor. Äußerlich ist Marcus ein Vorzeigesohn: Als erster seiner Familie, der eine akademische Karriere anstrebt, ist er bemüht alle Erwartungen seiner Familie zu erfüllen: Er hat immer die besten Noten, konzentriert sich ausschließlich auf sein Studium, meidet alle Aktivitäten, die ihn davon ablenken könnten oder versucht dies wenigstens.
Schon dass er das College in Winesburg besucht, markiert, dass nicht alles ganz in der Ordnung ist. Marcus ist vor seinem Vater von New Jersey nach Ohio geflohen, da der sich, nachdem Marcus in einer einzigen Nacht später als angekündigt nach Hause kam, in Sorge um seinen Sohn verzehrt. Die daraus resultierende Paranoia und die Versuche, den Sohn zu kontrollieren, der sich keiner falschen Handlung bewusst ist und im Gegenteil alles unterlässt, was die Sorge des Vaters rechtfertigen würde, lassen Marcus das Weite suchen.
In Winesburg aber erscheint er dem Dekan des Colleges nur bedingt als Musterstudent: Marcus hat Schwierigkeiten, sich in den gewöhnlichen College-Alltag einzupassen, er weigert sich, einer der Studentenverbindungen beizutreten, wechselt zweimal in kurzer Zeit sein Zimmer, da er in Konflikte mit seinen Mitstudenten gerät und hat am Ende sogar eine direkte Konfrontation mit dem Dekan, dem er empört vorwirft, man respektiere ihn und sein atheistisches Bekenntnis nicht, da man ihn nötige, einmal wöchentlich am christlichen Gottesdienst teilzunehmen. Diese Konfrontation endet zu allem Überfluss auch noch damit, dass sich Marcus im Büro des Dekans übergeben muss – aufgrund einer akuten Blinddarmentzündung, wie sich wenig später herausstellt.
Als sei all dies nicht genug, hat sich Marcus zudem noch in eine Kommilitonin verliebt, die bei der ersten Verabredung gleich ohne weiteres zum Oralsex übergeht, was Marcus in tiefe Verwirrung stürzt. Olivia entspricht zudem mit ihrer Vorgeschichte von Schulverweisen und einem Selbstmordversuch in keiner Weise dem Bild, das sich Marcus (oder gar seine Mutter) von einer zukünfigen Freundin gemacht hatte.
Allerdings sieht sich Marcus einer weiteren, weit ernsteren Bedrohung gegenüber: Er fürchtet nach dem College-Abschluss zum Militär eingezogen und nach Korea geschickt zu werden und im Krieg gegen die Chinesen zu sterben. Sein Plan ist es, das College als Jahrgangsbester zu verlassen, um eine Chance zu haben, dem Militärgeheimdienst beitreten zu können und auf diese Weise einen Fronteinsatz zu vermeiden. Wie uns im letzten Kapitel der Erzählung berichtet wird, ist Marcus Messner trotz allen seinen Bemühungen dennoch genau dort gelandet und gestorben, an den Stichen eines chinesischen Bajonetts. Alle Vorsicht, alle Versuche, sein Leben in Ordnung zu halten, haben letztlich nichts gefruchtet, und sein Schicksal wird besiegelt durch einen kleinen Betrug, der mehr der Bequemlichkeit dient, als dass er wirklich notwendig gewesen wäre.
Roth fügt in dieser Erzählung den Konflikt seines Protagonisten aus zahlreichen kleinen Quellen zusammen: Die Paranoia des Vaters, Vorurteile gegen eine jüdische Herkunft, die Selbstverständlichkeit des Christentums, die Sexualmoral der 50er-Jahre, die Gefahr, im Korea-Krieg zu sterben, den Versuch, die Ansprüche an einen guten Sohn mit den individuellen Bedürfnissen eines heranwachsenden und etwa naiven Intellektuellen zu vereinen. Die Ironie der Erzählung ergibt sich daraus, dass sich der Protagonist bei einem einzigen Fehltritt allen Ernstes mit dem Tod bedroht sieht, dass er also im Grunde die Paranoia seines Vaters teilt, die am Ende auch noch Recht behält. Eine sehr dichte und in ihrer Motivationsstruktur komplexe Geschichte, die nur auf den ersten Blick schlicht und geradlinig erzählt ist. Ein weiteres Meisterstück der Verdichtung von Welt in Literatur aus der Feder Philip Roth’, und eine Ohrfeige mehr für Herrn Engdahl.
Philip Roth: Indignation. New York: Houghton Mifflin, 2008. Pappband, 233 Seiten. Ca. 15,– €.