Die Philosophie ist Tochter deines Denkens und der ganzen Welt und wohnt in dir selbst; zwar noch nicht in klarer Gestalt, doch ähnlich der Erzeugerin Welt in ihrem gestaltlosen Anfang. Du mußt verfahren wie die Bildhauer, die durch Bearbeitung der gestaltlosen Materie mit dem Meißel die Gestalt nicht bilden, sondern aus ihr herausholen. Ahme der Schöpfung nach. Über den verworrenen Abgrund deiner Spekulationen und Experimente möge (wofern du willens bist, dich ernstlich um die Philosophie zu mühen) dein Denken emporgetragen werden. Das Verworrene muß zerteilt und unterschieden werden und jegliches, nachdem es die ihm zukommende Bezeichnung erhalten hat, seinen festen Platz bekommen, d.h. es bedarf einer Methode, die der Schöpfung der Dinge selbst entspricht.
Thomas Hobbes
Grundzüge der Philosophie
Schlagwort: Stammbuch
Allen Lesern ins Stammbuch (104)
Es gibt keinen höheren Zweck der Kunst, als in dem Menschen diejenige Lust zu entzünden, welche sein ganzes Wesen von aller irdischen Qual, von allem niederbeugenden Druck des Alltagslebens wie von unsaubern Schlacken befreit und ihn so erhebt, daß er, sein Haupt stolz und froh emporrichtend, das Göttliche schaut, ja mit ihm in Berührung kommt. – Die Erregung dieser Lust, diese Erhebung zu dem poetischen Standpunkte, auf dem man an die herrlichen Wunder des Rein-Idealen willig glaubt, ja mit ihnen vertraut wird und auch das gemeine Leben mit seinen mannigfaltigen bunten Erscheinungen durch den Glanz der Poesie in allen seinen Tendenzen verklärt und verherrlicht erblickt – das nur allein ist nach meiner Überzeugung der wahre Zweck des Theaters.
E. T. A. Hoffmann
Nachricht von den neuesten Schicksalen
des Hundes Berganza
Allen Lesern ins Stammbuch (103)
Der Goetheaufsatz war schwer! Uff! Darlegen u. auseinanderfalten ist ja nicht meine Stärke, der ich mehr für Ausdruck u. Stoffvernichtung bin. 20 werden ihn zu Ende lesen, davon 10 sagen: dilettantisch, weil ich kein Privatdozent bin, 8: langweilig, weil es keine Verse sind. Die restlichen 2 sagen: ganz nett, aber ich hätte es besser gekonnt.
Gottfried Benn
an Ewald Wasmuth, 17.12.1931
Allen Lesern ins Stammbuch (102)
Viele sogenannte berühmte Schriftsteller, in Deutschland wenigstens, sind sehr wenig bedeutende Menschen in Gesellschaft. Es sind bloß ihre Bücher, die Achtung verdienen, nicht sie selbst. Denn sie sind meistens sehr wenig wirklich. Sie müssen sich immer erst durch Nachschlagen zu etwas machen, und dann ist es immer wieder das Papier, das sie geschrieben haben. Sie sind elende Ratgeber und seichte Lehrer dem, der sie befragt.
Georg Christoph Lichtenberg
Sudelbücher (K 192)
Allen Lesern ins Stammbuch (101)
Im Bücherschrank standen die Klassiker. Schiller, Göthe, Wieland, Shakespeare. Die kannte ich ja längst, und sie hatten mir doch nicht geholfen. Ach Gott, ich hatte die Klassiker gelesen, wie früher die Räuberromane, eilfertig, eilfertig, nur das Stoffliche verschlingend.
Im Bücherschrank, in alten, ehrwürdigen Einbänden, standen auch Herder und Lessing. Mit Herder war nichts anzufangen. Schon nach den ersten Seiten schweiften meine Gedanken abseits; für den war ich wohl noch nicht reif. Also Lessing, aber nicht etwa Emilia Galotti oder Minna Barnhelm, nein, etwas Lehrreiches. Der Laokoon, der sollte ja sehr tief und sehr bildend sein. Ich las ihn mit concentrirter Aufmerksamkeit, Satz für Satz, ich machte mir Auszüge. Meine Mutter kam einmal dazu. Ich hätte mich nicht sonderlich gegrämt, wenn sie, wie vor Jahren die Veronika, diesmal den Laokoon conficirt hätte. Ich wagte nicht mir zu gestehen, daß ich ihn langweilig fand. Von Kunst hatte ich nicht den leisesten Schimmer. Ich war noch nicht einmal im Museum gewesen.
Hedwig Dohm:
Schicksale einer Seele
Allen Lesern ins Stammbuch (100)
Nah, nah, at the bottom it’s always a woman, son.
Stephen King
Allen Lesern ins Stammbuch (99)
Der Bücherfreund
Ob ich Biblio- was bin?
Phile? »Freund von Büchern« meinen Sie?
Na, und ob ich das bin!
Ha! und wie!Mir sind Bücher, was den andern Leuten
Weiber, Tanz, Gesellschaft, Kartenspiel,
Turnsport, Wein, und weiß ich was, bedeuten.
Meine Bücher – – – wie beliebt? Wieviel?Was, zum Henker, kümmert mich die Zahl.
Bitte, doch mich auszureden lassen.
Jedenfalls: viel mehr, als mein Regal
Halb imstande ist zu fassen.Unterhaltung? Ja, bei Gott, das geben
Sie mir reichlich. Morgens zwölfmal nur
Nüchtern zwanzig Brockhausbände heben – – –
Hei! das gibt den Muskeln die Latur.Oh, ich mußte meine Bücherei,
Wenn ich je verreiste, stets vermissen.
Ob ein Stuhl zu hoch, zu niedrig sei,
Sechzig Bücher sind wie sechzig Kissen.Ja natürlich auch vom künstlerischen
Standpunkt. Denn ich weiß die Rücken
So nach Gold und Lederton zu mischen,
Daß sie wie ein Bild die Stube schmücken.Äußerlich? Mein Bester, Sie vergessen
Meine ungeheure Leidenschaft,
Pflanzen fürs Herbarium zu pressen.
Bücher lasten, Bücher haben Kraft.Junger Freund, Sie sind recht unerfahren,
Und Sie fragen etwas reichlich frei.
Auch bei andern Menschen als Barbaren
Gehen schließlich Bücher mal entzwei.Wie? – ich jemals auch in Büchern lese??
Oh, Sie unerhörter Ese – – –
Nein, pardon! – Doch positus, ich säße
Auf dem Lokus, und Sie harrten
Draußen meiner Rückkehr, ach dann nur
Ja nicht länger auf mich warten.
Denn der Lokus ist bei mir ein Garten,
Den man abseits ohne Zeit und Uhr
Düngt und erntet dann Literatur.Bücher – Nein, ich bitte Sie inständig:
Nicht mehr fragen! Laß dich doch belehren!
Bücher, auch wenn sie nicht eigenhändig
Handsigniert sind, soll man hoch verehren.
Bücher werden, wenn man will, lebendig.
Über Bücher kann man ganz befehlen.
Und wer Bücher kauft, der kauft sich Seelen,
Und die Seelen können sich nicht wehren.Joachim Ringelnatz
Allen Lesern ins Stammbuch (98)
[…] möglicherweise sucht sich die Sprache die Schriftsteller aus, derer sie bedarf, sie bedient sich ihrer, damit diese einen kleinen Teil dessen ausdrücken, was sie ist, wenn die Sprache alles gesagt hat und schweigt, dann möchte ich doch mal wissen, wie wir leben würden.
José Saramago
Das Todesjahr des Ricardo Reis
Allen Lesern ins Stammbuch (97)
Ihr Deutsche kommt mir vor wie jener Mathematiker, der, nachdem er Glucks »Iphigenia in Tauris« gehört hatte, den entzückten Nachbar sanft auf die Achsel klopfte und lächelnd fragte: »Aber was ist dadurch nun bewiesen?« – Alles soll noch außer dem, was es ist, was anderes bedeuten, alles soll zu einem außerhalb liegenden Zweck führen, den man gleich vor Augen hat, ja selbst jede Lust soll zu etwas anderm werden, als zur Lust und so noch irgendeinem andern leiblichen oder moralischen Nutzen dienen, damit nach der alten Küchenregel immer das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden bleibe.
E. T. A. Hoffmann
Nachricht von den neuesten Schicksalen
des Hundes Berganza
Allen Lesern ins Stammbuch (96)
In seiner schwarzen Seele spiegelten sich alle Menschen pechrabenschwarz. Denn die Welt ist nur ein Spiegel: Was hereinschaut, schaut heraus. In Folge dessen brachte er das Kunststück fertig, sich in einer Welt von Schurken, die er sich ausmalte, als verfolgter Biedermann zu fühlen. Diese Schwäche und Beschränktheit des Menschen beschränkte auch seine Begabung. Wo er wild, trotzig, grimmig und vor allem, wo er boshaft die Feder schwang, war er groß. Dann brach eine elementare Urgewalt in seinen Schöpfungen hervor. Wo er hingegen pausbäckigen Humor pflegen wollte, wirkte er unbedeutend; wo er gar in gerührter Menschenfreundlichkeit schwelgte, wirkte er theils läppisch theils für den tieferen Beobachter widerlich durch verlogene Sentimentalität.
Diese mittelmäßigen Mißgeburten hielt er dann natürlich für seine besten Erzeugnisse, und die unreife Presse, welche seine wirklich bedeutenden Bücher weder las noch verstand, ermuthigte ihn noch in diesem Irrwahn. Man munterte ihn auf, sich zum Idealismus emporzuranken und die Bahnen des greulichen Zola zu fliehen.
Karl Bleibtreu
Größenwahn