Entstanden sind die 20 Romane des Zyklus von Émile Zola zwischen 1871 und 1893. Der Zyklus steht zwar von Anfang an unter einem sozial-biologischen Gesamtkonzept, thematisiert aber auch zahlreiche weitere Motive der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Entwicklung Frankreichs in den Jahren des Zweiten Kaiserreichs.
Das sozial-biologische Gesamtkonzept ergibt sich aus Zolas Vorstellung, dass sich pathologische Züge einzelner Mitglieder einer Familie durch den Familien-Stammbaum (der sich leicht im Netz finden lässt) hindurch verfolgen lassen und innerhalb weniger Generationen zum Untergang bzw. der Auflösung eines solchen Familienverbandes führen müssen. Außer der Illustration dieser Theorie, die letztlich nicht wirklich überzeugend dargestellt werden kann, auch wenn ihr Zola am Ende noch einmal einen ganzen Band widmet, der in der Hauptsache der Ergebnissicherung gewidmet ist, beschreibt Zola überzeugend die Goldgräberstimmung der frühen Jahre der Regierung Napoleons III., die Entwicklung der Geschäftswelt in Paris, sowohl was den Waren- als auch was den Börsenhandel angeht. Er liefert ungeschönte Portraits des Elends im Arbeitermilieu und der Folgen der Trunksucht. Er schreibt einen Künstler-, einen Bauern- und einen Eisenbahner-Roman. Er schildert den gesellschaftlichen Aufstieg einer Prostituierten in den Jahren unmittelbar vor dem Deutsch-Französischen Krieg, der für die Franzosen eine militärische und gesellschaftliche Niederlage von überraschendem Ausmaß darstellte. Es fehlt nicht an scharfer, satirischer Kritik des Bürgertums und seiner Doppelmoral, aber auch nicht an religiösen Genrebildern oder einem Liebes- bzw. Eheroman, die dem Zeitgeschmack des Publikums weit entgegenkamen.
Es folgen zwei Tabellen: Zum einen die Bände in der Reihenfolge ihrer Entstehung (so habe ich sie gelesen und hier besprochen) und zum anderen in der Reihenfolge, die Zola selbst für die Lektüre des Zyklus vorgeschlagen hat und die im Großen und Ganzen der inneren Chronologie der Gesamthandlung folgt. Alle Titel sind mit den Besprechungen hier auf Bonaventura verlinkt.
In der Reihenfolge der Entstehung
1871 | Das Glück der Familie Rougon |
1872 | Die Beute |
1873 | Der Bauch von Paris |
1874 | Die Eroberung von Plassans |
1875 | Die Sünde des Abbé Mouret |
1876 | Seine Exzellenz Eugène Rougon |
1877 | Der Totschläger |
1878 | Ein Blatt Liebe |
1880 | Nana |
1882 | Ein feines Haus |
1883 | Paradies der Damen |
1884 | Die Freude am Leben |
1885 | Germinal* |
1886 | Das Werk |
1887 | Die Erde |
1888 | Der Traum |
1890 | Das Tier im Menschen |
1891 | Das Geld |
1892 | Der Zusammenbruch |
1893 | Doktor Pascal |
Reihung der Leseempfehlung Zolas
1 | Das Glück der Familie Rougon (1871) |
2 | Seine Exzellenz Eugène Rougon (1876) |
3 | Die Beute (1872) |
4 | Das Geld (1891) |
5 | Der Traum (1888) |
6 | Die Eroberung von Plassans (1874) |
7 | Ein feines Haus (1882) |
8 | Paradies der Damen (1883) |
9 | Die Sünde des Abbé Mouret (1875) |
10 | Ein Blatt Liebe (1878) |
11 | Der Bauch von Paris (1873) |
12 | Die Freude am Leben (1884) |
13 | Der Totschläger (1877) |
14 | Das Werk (1886) |
15 | Das Tier im Menschen (1890) |
16 | Germinal* (1885) |
17 | Nana (1880) |
18 | Die Erde (1887) |
19 | Der Zusammenbruch (1892) |
20 | Doktor Pascal (1893) |
* Zu Germinal liegt auch eine frühere Besprechung vor, die eine Handlungsübersicht enthält.
Empfehlungen
Wer sich nicht durch die gesamte Rougon-Macquart hindurchlesen möchte, dem seien folgende Bände zur Lektüre empfohlen:
- Ein feines Haus (1882): Eine Bürgersatire, die Ereignisse in einem einzigen Mietshaus in den Jahren 1862/1863 schildert und die Zolas Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit und ihrer unmenschlichen Moral in einem großen Bild zusammenfasst.
- Nana (1880) ergänzt dieses Bild. Nana steigt von der Theaterdirne zur Luxus-Prostituierten auf und entblößt dabei die lustgetriebene Einfältigkeit der von ihr am Gängelband geführten Männer. Das Buch endet am Fuß des Deutsch-Französischen Krieges 1871.
- Germinal (1885) ist die Geschichte eines Bergarbeiter-Streiks Mitte der 1860-er Jahre in Nordfrankreich. Es liefert eine eindrückliche Dokumentation des Elends, das die Industrialisierung hervorgebracht hatte.
- Das Tier im Menschen (1890) ist wohl einer der frühesten Eisenbahnerromane. Die Kriminalhandlung dreht sich um einen Lustmörder, der dem Strang der psychisch kranken Mitglieder der Familie Rougon-Macquart entstammt. Das Buch brilliert mit einem grandiosen Finale.
Wirklich abraten würde ich in der Hauptsache von zwei Romanen, die für den heutigen Geschmack wahrscheilich eher eine Zumutung darstellen:
- Ein Blatt Liebe (1878) erzählt eine sehr konventionelle Ehebruchsgeschichte mit einem kitschig-tragischen Ende.
- Der Traum (1888) ist die Geschichte einer jungen Frau, die einem religiös-romantischen Wahn verfällt.
Bei aller Kritik sei aber betont, was für eine gewaltige Leistung es war, diesen Romanzyklus in nur 23 Jahren zu schreiben, also in nahezu jedem Jahr einen neuen Band des Zyklus vorzulegen. Dass dabei nicht immer nur Meisterwerke entstehen konnte, versteht sich von selbst. Dass Zola allerdings zugleich so zahlreiche meisterhafte oder auch nur sehr gute Romane geliefert hat, verdient jede Bewunderung.