Als ich noch Bücher las, habe ich irgendwo das Diktum gefunden, daß der Mensch nie verzweifeln könne, denn es bleibe ihm auch beim schlimmsten Zahnweh immer die tröstliche Möglichkeit des Selbstmordes.
Ich habe ein Analogon dazu; ich sage mir: Du kannst zwar versumpfen, aber es bleibt Dir immer noch die Möglichkeit, Journalist zu werden.
Otto Julius Bierbaum
Stilpe
Zitate
Aus gegebenem Anlass (X) – Weihnacht
Als ich nun zur Weihnacht 1821 die vorbereitenden Einkäufe besorgen wollte, war ich nicht wenig erstaunt, auf beinahe gänzliches Unverständniß dieser lieblichen Feier zu stoßen. Es kostete mir Mühe, ein Tannenbäumchen aufzutreiben. Als ich mein Verlangen auseinandersetzte, hörte ich an allen Verkaufsorten die verwunderte Frage: »Christbescherung? was ist das? Ah, Sie meinen den Niklo?«
Ich befand mich allerdings in einem katholischen Lande, wo man eigentlich von diesem Feste keine Notiz nimmt. Es war ja in Frankreich nicht anders. Dennoch wunderte ich mich, daß das lebensfrohe, fast kindliche Wien nicht längst eine freundliche Sitte nachgeahmt hatte, welche durch die Gemalin des Erzherzogs Carl, eine protestantische Fürstin, doch schon bekannt sein mußte. Und doch hatte dieses unvergleichliche Kinderfest factisch noch keine rechte Verbreitung gefunden.
Heinrich Anschütz
Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken
Allen Lesern ins Stammbuch (65)
Writing, when properly managed, (as you may be sure I think mine is) is but a different name for conversation. As no one, who knows what he is about in good company, would venture to talk all;—so no author, who understands the just boundaries of decorum and good-breeding, would presume to think all: The truest respect which you can pay to the reader’s understanding, is to halve this matter amicably, and leave him something to imagine, in his turn, as well as yourself.
For my own part, I am eternally paying him compliments of this kind, and do all that lies in my power to keep his imagination as busy as my own.Laurence Sterne
Tristram Shandy
Aus gegebenem Anlass (IX) – Martinstag
Bestimmter Besitz ist nicht oder nur schlecht zu teilen. Kleidung zum Beispiel lässt sich nicht teilen. Obwohl: Martin von Tour hat natürlich noch seinen Mantel geteilt, aber er wird wohl auf einer Seite gefroren haben.
Allen Lesern ins Stammbuch (64)
Moral und Stil. – Man wird als Schriftsteller die Erfahrung machen, daß, je präziser, gewissenhafter, sachlich angemessener man sich ausdrückt, das literarische Resultat für um so schwerer verständlich gilt, während man, sobald man lax und verantwortungslos formuliert, mit einem gewissen Verständnis belohnt wird. Es hilft nichts, alle Elemente der Fachsprache, alle Anspielungen auf die nicht mehr vorgegebene Bildungssphäre asketisch zu vermeiden. Vielmehr bewirken Strenge und Reinheit des sprachlichen Gefüges, selbst bei äußerster Einfachheit, ein Vakuum. Schlamperei, das mit dem vertrauten Strom der Rede Schwimmen, gilt für ein Zeichen von Zugehörigkeit und Kontakt: man weiß, was man will, weil man weiß, was der andere will. Beim Ausdruck auf die Sache schauen, anstatt auf die Kommunikation, ist verdächtig: das Spezifische, nicht bereits dem Schematismus Abgeborgte erscheint rücksichtslos, ein Symptom der Eigenbrötelei, fast der Verworrenheit. Die zeitgemäße Logik, die auf ihre Klarheit so viel sich einbildet, hat naiv solche Perversion in der Kategorie der Alltagssprache rezipiert. Der vage Ausdruck erlaubt dem, der ihn vernimmt, das ungefähr sich vorzustellen, was ihm genehm ist und was er ohnehin meint. Der strenge erzwingt Eindeutigkeit der Auffassung, die Anstrengung des Begriffs, deren die Menschen bewußt entwöhnt werden, und mutet ihnen vor allem Inhalt Suspension der gängigen Urteile, damit ein sich Absondern zu, dem sie heftig widerstreben. Nur, was sie nicht erst zu verstehen brauchen, gilt ihnen für verständlich; nur das in Wahrheit Entfremdete, das vom Kommerz geprägte Wort berührt sie als vertraut. Weniges trägt so sehr zur Demoralisierung der Intellektuellen bei. Wer ihr entgehen will, muß jeden Rat, man solle auf Mitteilung achten, als Verrat am Mitgeteilten durchschauen.
Theodor W. Adorno
Minima Moralia
Allen Lesern ins Stammbuch (63)
Für alle Länder zeigt sich, dass nur sehr wenige Erwachsene die höchste Stufe der Lesekompetenz (Stufe V) erreichen. Sowohl im Durchschnitt über die beteiligten OECD- Länder als auch in Deutschland befindet sich weniger als 1 % der Bevölkerung auf dieser Stufe und ist somit in der Lage, mit sehr komplexen Leseanforderungen umzugehen. Im OECD- Durchschnitt erreichen immerhin 11 % der Personen (10 % in Deutschland) die Kompetenzstufe IV und können lange und schwierige, aber in Abgrenzung zu Stufe V etwas weniger komplexe Texte verarbeiten. Der Anteil der Personen, der diese Kompetenzstufe erreicht, variiert stark zwischen den Ländern: Während in Japan und Finnland etwa ein Fünftel der jeweiligen Bevölkerung Kompetenzstufe IV erreicht, liegt der Anteil in elf der 23 Länder bei unter einem Zehntel, davon in Spanien und Italien sogar unter 5 %.
Demgegenüber findet sich in allen Ländern ein nicht unerheblicher Anteil Erwachsener im unteren Bereich der Lesekompetenz, das heißt auf oder unter Stufe I. Diese Personen können nur kurze Texte mit eher einfachem Grundwortschatz und übersichtlicher Struktur lesen. Im OECD-Durchschnitt verfügen rund 16 % der Erwachsenen über eine Lesekompetenz im unteren Bereich, wobei sich die entsprechenden Anteile in den einzelnen Ländern deutlich unterscheiden. Während in Deutschland der Anteil mit rund 18 % vergleichsweise nahe am OECD-Durchschnitt liegt, beläuft er sich in Japan auf unter 5 %. In Spanien und Italien finden sich mit jeweils über 25 % hingegen sehr hohe Anteile auf oder unter Stufe I.
Quelle: Beatrice Rammstedt (Hrsg.)
Grundlegende Kompetenzen Erwachsener im
internationalen Vergleich. Ergebnisse von PIAAC 2012
S. 42 f.
Aus meinem Poesiealbum (XVIII) – Bildung
Die ganze Welt ist voll gelahrter Männer, hochbelesener Lehrer, voll reichbegabter Büchersäl, und dünket mich daß eine solche Bequemlichkeit der Studien wie man itzo siehet, weder zu Plato noch Cicero Zeiten, noch Papiniani gewesen sey. Und wird sich künftig in Gesellschaft gar keiner mehr herfürtraun dürfen, der nicht in der Minerva Werkstatt recht aus dem Grund poliret ist. Ich seh, es sind die Strassenräuber, Stallbuben, Waghäls und Henkersknecht itzund gescheiter als die Doctoren und Prediger zu meiner Zeit.
François Rabelais
Gargantua und Pantagruel
Allen Lesern ins Stammbuch (62)
Aber das alles schreiben, seine Gedanken und seine Seele auf diesen Kleinkram verschwenden, die Überzeugungen wechseln, mit Geist und Phantasie Handel treiben, seine Natur vergewaltigen, sich aufregen, brennen, keine Ruhe kennen und immer irgendwohin unterwegs sein … Und nichts als schreiben und schreiben, wie ein Rad, wie eine Maschine: morgen schreiben, übermorgen; ob es Feiertag ist oder Sommer wird – er muss in einem fort schreiben. Wann spannt er denn mal aus und erholt sich? Der Unglückliche!
Iwan Gontscharow
Oblomow
Zum Tod von Marcel Reich-Ranicki
Ich finde dieses Buch unerträglich, das ist ein unerträgliches Buch! Es ist – ich spüre es, da ist was Poetisches, was Balladeskes, was Bemühtes. Es sind lauter Mythen, die da konstruiert, zitiert und erfunden werden, mit Frauen, aus denen Pferde werden, mit der großen Einsamkeit und dem einsamen Dorf im Norden. Es wird immer gesagt, 1.100 Kilometer nördlich von Stockholm. Mir ist das vollkommen fremd! Es lässt mich ganz kalt! Es langweilt mich! Ich spüre, das ist keine schlechte Literatur, aber es ist mir gänzlich fremd.
Allen Lesern ins Stammbuch (61)
Besides, besides, why bother to write that kind of stuff down? Has it not been done—and done? Do they need me too to scratch my name on the Wailing Wall? For me the books count—my own included—where the writer incriminates himself. Otherwise, why bother?
Philip Roth
The Professor of Desire