Da es jedoch auf vieles Bezug nimmt, was vielleicht nicht allgemein bekannt ist, […] liegt es im Interesse des Autors, einige der dunkleren historischen Anspielungen zu erklären. Dieser Pflicht zu genügen, mahnt ihn der bittere Kelch der Erfahrung, hat sie ihm doch oft gezeigt, dass, egal wie wenig das Publikum über eine Sache weiß, ehe sie seinen Blicken dargeboten wird, kaum hat man sie dieser schrecklichen Prüfung ausgesetzt, jeder Einzelne und alle zusammen, man könnte sagen, intuitiv, mehr von ihr verstehen als derjenige, der sie ihnen doch erst gezeigt hat; und dass es im Gegensatz zu dieser unbestreitbaren Tatsache für einen Schriftsteller oder einen Planer ein sehr unsicheres Experiment ist, auf die Erfindungskraft eines anderen Menschen zu vertrauen.
James Fenimore Cooper
Der letzte Mohikaner
Zitate
Zum 100. Geburtstag von Wolf von Niebelschütz
Ja, wir sind blind und wütig und wollen es sein. Jegliches qualitative Plus wird geleugnet, erniedrigt, mit politischem Schmutz begossen, in Kot getrampelt – weiß der Himmel, wofür! Und dieses pervertierte Bewußtsein der Minderleistung erfüllt uns auch vor der Convention. O bitte, nicht gleich gescheut und gekeilt! immer artig zugehört. Was bedeutet sie denn, die Convention? Gar nichts als den Rahmen! der für sich keinen Zweck hat, wohl aber des Gemäldes Pracht vor dem Verfließen bewahrt. Wie traurig stünde es um denjenigen, der, weil die Zeiten roh wurden, die Fähigkeit nicht mehr besitzt, hinter gekühlten Umgangs-Formen das pulsend Private warm zu spüren, sondern intolerant ein Geschöpf verwirft, nur weil es anders ist als er selber. Es gibt solche Leser, ihnen ist nicht zu helfen. Wild entschlossen den Autor wie seine Prinzessin für gestelzt, hoffärtig, herz- und gemütlos erklärend, werden sie eine Vergangenheit niemals begreifen, die sehr sparsam war mit Gefühls-Ergüssen; die es ablehnte, dauernd von Seele zu reden; die im traulichen Du keine unbedingte Erfordernis sah, dem Gesprächs-Partner weder auf die Brust rückte noch ins Maul kroch, das viele Klagen entbehrlich fand, Schmalz und Limonade nur in geringster Dosis goûtierte und Banalitäten nun einmal nicht mochte; die das Leben einem gewissen Schliff unterzog, ihm einen Halt gab, ein Règlement, ein Niveau, ja, die es erleichterte statt complicierte, eben weil klare Verbindlichkeiten über Erlaubtes und nicht Erlaubtes, über Ton und Mißton, gesellschaftlich Mögliches und Unmögliches herrschten; und die es, aus reicher Kenntnis, für schädlich hielt, das Herz auf der Zunge zu tragen – wohin es zweifellos nicht gehört.
Der Blaue Kammerherr
Aus meinem Poesiealbum (XIV) – Rechenkünstler
Angeregt durch dies kleine Rechenkunststück des Dr. Köllerer
Fun Fact: Addiert man alle Supermärkte in Wien mit den eingesetzten U-Bahn-Waggons, dann erhält man die exakte Zahl an aktiven Bettlern.
— Christian Koellerer (@DrPhiloponus) December 19, 2012
ist mir folgendes wieder in den Sinn gekommen:
»Kann man ungleichnamige Größen miteinander multiplizieren?«
»Man kann es.«
»So? Also multiplizieren Sie mir siebzehn Pfund mit drei Ellen, was kommt denn da heraus?«
»Siebzehn Pfund, multipliziert mit drei Ellen, das macht netto sechs Kilogramm, dreizehn Hektoliter, achtundzwanzig Millimeter, zweieinhalb Gallonen, sechs Yards.«
»Sie wissen gar nichts.«
»Rechnen S’ nur nach!«Johann Nestroy
Die schlimmen Buben in der Schule
Allen Lesern ins Stammbuch (55)
Zuletzt hat man mich gefragt, ob ich selbst alle die Bücher gelesen, die ich citirt habe. Ich antworte: nein. Wahrhaftig, ich hätte müssen einen großen Theil meines Lebens damit verbringen schlechte Bücher zu lesen.
Blaise Pascal
Gedanken über Religion
Allen Lesern ins Stammbuch (54)
Und so einer zu mir etwa sagen wollte, dass man aus dem Lesen der Historien die beste Weisheit erlangen könnte, so will ich ihm dieses nicht ganz und gar verleugnen, wenn er mir nur auch dieses zugibet, dass man daraus auch den grössten Schaden, ja oft den Untergang selbst schöpfen kann.
Agrippa von Nettesheim
Zum Tod von Herbert Rosendorfer
Prinz Garibald zählte. Er zählte nicht Fliegen, Fenster, Autos oder was immer; er zählte abstrakt. Er hatte sich, als er achtzehn Jahre alt war, zur Lebensaufgabe gestellt, zu zählen. Das war 1922 gewesen. Er zählte manchmal laut, manchmal zählte er nur innerlich für sich; meist zählte er ganz leise und bewegte dabei ein wenig die Lippen. Aber immer zählte er gewissenhaft. In einem kleinen Notizbuch vermerkte er, mit welcher Zahl er aufgehört hatte. Am nächsten Tag (genauer gesagt: am nächsten Werktag) fing er mit der darauffolgenden Zahl weiterzuzählen an. Er habe keine anderen Interessen und Neigungen, sagte der Prinz. Zum militärischen oder geistlichen Stand fühle er keine Berufung. Wissenschaftliche oder künstlerische Betätigung langweile ihn. Die Jagd sei ihm zu unbequem. Das Zählen fülle ihn aus.
Herbert Rosendorfer
Deutsche Suite
Hans Blumenberg: Die Sorge geht über den Fluß
Von einem Ausgangspunkt zu einem Zielpunkt gibt es nur einen kürzesten Weg, aber unendlich viele Umwege. Kultur besteht in der Auffindung und Anlage, der Beschreibung und Empfehlung, der Aufwertung und Prämierung der Umwege.
Eine weitere Sammlung kurzer und kürzester Essays Hans Blumenbergs. Die meisten werden wohl für Zeitungen und Zeitschriften geschrieben worden sein, doch leider fehlt dem Buch jeglicher Nachweis der Erstveröffentlichungen. Geordnet ist das Material recht locker in fünf Gruppen, die selbst wiederum nur auf einer sehr abstrakten Ebene miteinander zu tun haben. So beschäftigt sich das erste Kapitel mit Fällen von anekdotischer oder metaphorischer Seenot, das zweite widmet sich Problemen des Sinnverlustes, das dritte geht Redeweisen vom Grund und Boden nach, das vierte spricht von religiösen oder metaphysischen Weltordnungen und das letzte schließlich über die titelgebende Sorge.
Auch die Spannbreite der Reflexion ist hoch: Von der nacherzählten und dann knapp konterkarierten Anekdote bis zur ebenso scharfen wie kurz angebundenen philosophischen Ohrfeige ist alles vertreten, fast immer auch für den philosophisch interessierten Laien mit Gewinn zu lesen. Manches gerät Blumenberg geradezu prophetisch:
Doch nein: unsere Zitierer […] würden gar nicht erst feststellen können, daß sie falsch zitiert hätten. Das Zitat war schon falsch bei dem, nach dem sie zitiert hatten.
Hans Blumenberg: Die Sorge geht über den Fluß. Bibliothek Suhrkamp 965. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1987. Pappband, Fadenheftung, 227 Seiten. 11,– €.
Allen Lesern ins Stammbuch (53)
Da das Lesen Mr. Pivner zufolge in jedem Fall eine ernst zu nehmende Beschäftigung war (und zwar das Lesen an sich, ganz gleich ob Werbung oder das Alte Testament), ersparte er sich den gefahrvollen Weg zur Erleuchtung und begab sich stattdessen auf den gut erleuchteten Pfad zur vollständigen Verblödung.
William Gaddis
Die Fälschung der Welt
Aus meinem Poesiealbum (XIII) – Elfenbeinturm
Ich habe immer versucht, in einem Elfenbeinturm zu leben; aber ein Meer von Scheiße schlägt an seine Mauern, genug, ihn zum Einsturz zu bringen.
Gustave Flaubert
an Ivan Turgenev, 13. November 1872
Allen Lesern ins Stammbuch (52)
Der Doktor Richard hatte ein neues wissenschaftliches Werk gepriesen; »dieses Buch müssen Sie unbedingt lesen«, schloß er, zu dem teilnahmslos dasitzenden Viktor gewendet. Schäumend sprang dieser in die Höhe: »Wie unterstehen Sie sich, mir Befehle zu erteilen?« Und den ganzen Abend ging es: »Herr Doktor, Sie müssen unbedingt diesen Bleistift in den Mund nehmen«, »Herr Doktor, Sie müssen mir unbedingt mein Schnupftuch aus dem Überzieher holen«, »Herr Doktor, Sie müssen jetzt unbedingt sofort nach Hause.«
Carl Spitteler
Imago