Aus meinem Poesiealbum (XII) – Mond

Am Abend geht der Mond auf, seine feine gebogene Sichel ist wie der Pantoffel einer Chinesin.

Gustave Flaubert
Reisetagebuch 1858

[…] die Sonne begann zu sinken, und auf der gegenüberliegenden Seite des Himmels zog bereits die Sichel des Mondes herauf.

Gustave Flaubert
Salambo

»Könnten Sie mal bei Walter Scott, im Original, nachsehen«, fiel mir als weitere Bestechung für ihn ein : »Da kommt im ‹Herz von Midlothian› das Phänomen vor, daß ‹der volle Mond breit im Nordwesten› aufsteigt.« Er hatte mir lässig das verbrauchte Profil hingehalten, und fragte jetzt vornehm erschöpft : »Warum ? Gibt’s das nicht ?« (Man ist also doch letzten Endes allein !).

Arno Schmidt
Rollende Nacht

Allen Lesern ins Stammbuch (51)

Denn sie wissen Bescheid von allem und ihre Sprache hat eben noch den Zweck, ihnen Bescheid zu sagen. Kein Volk lebt so weit wie dieses von der Sprache als der Quelle seines Lebens. Es schreibt heute das abgestutzte Volapük des Weltkommis und wenn es die Iphigenie nicht gerade ins Esperanto übersetzt, so überläßt es das Wort seiner Klassiker der schonungslosen Barbarei aller Nachdrucker und entschädigt sich in einer Zeit, in der kein Mensch mehr das Schicksal des Wortes ahnt und erlebt, durch Luxusdrucke und ähnliche Unzucht eines Ästhetizismus, der das echtere Stigma des Barbarentums ist als das Bombardement einer Kathedrale, und wäre sie selbst kein militärischer Beobachtungsposten. Denn die ganze Menschheit ist einer; und sie lügt, wenn sie glaubt, ihre Bildung sei ein Beweis gegen ihre Grausamkeit und nicht für diese.

Karl Kraus

Allen Lesern ins Stammbuch (50)

Am besten an der Anwendung zu kennen.

Sind ihrer Manche, die vielerlei Reguln und Richtschnuren fertigen, wie der Dichter es solle machen, wenn er dichtet. Sind ihrer aber eben so Wenige, die das Ding mit den Richtschnuren recht inne haben, als klein guter Dichter Zahl ist. Da setzen sich nun die Regulgeber hin, und meinen’s auszugrübeln, was da Natur sey, und kennen doch keine Erfahrung; und ertappen sie ja ’mal was, das nach Natur aussieht, so können sie doch nicht damit umgehn, stellen’s schief hin, werfen’s durch ’nander, und wenn’s nun gar recht zu dem geht, worauf’s allein ankommt, so wissen sie vollends weder aus noch ein. Da sieht man’s wenn sie sich selbst was unterfangen, und mit ihrem Schifflein aufs weite Meer hinausfahren, da bleiben sie auf allen Sandbänken sitzen, und ist kein Fels wo, auf den sie nicht stoßen.

Friedrich Gottlieb Klopstock
Die deutsche Gelehrtenrepublik

Allen Lesern ins Stammbuch (49)

Aber nun gar die Schaar der Dilettanten! Wie wenig Sinn und Liebe für die Sache, wie erschreckend der Mangel alles Verständnisses, wie so ganz abhängig von gemachter Mode und prunkendem Schein, – und doch dieser dilettantische Andrang zu den Künsten und Wissenschaften! Das Räthsel löst sich so: nicht um ihrer selbst willen werden die Künste gesucht, sondern als bunter Flittertand, um seine liebe Person damit auszuputzen. Die ebenso unverständigen Beurtheiler sind über den Putz entzückt, wenn ihnen die Person gefällt und verachten ihn, wenn sie keinen sonstigen Grund haben, der Person zu schmeicheln.

Eduard von Hartmann
Philosophie des Unbewußten

Allen Lesern ins Stammbuch (48)

»Höchstes Glück der Erdenkinder?« fragte er haßvoll: »Nennen Sie mir einen anständigen Schriftsteller, der gern geschrieben hätte: lieber zeitlebens Scheiße schippen! –: Sind Sie Ihrer Individualität noch nie müde geworden?« Ich senkte den Kopf; ich nickte; es ging ihn zwar nischt an, aber: ja. Täglich etwa zweimal. »Na sehen Sie,« sagte er versöhnt.

Arno Schmidt
Tina oder über die Unsterblichkeit

Allen Lesern ins Stammbuch (45)

Nehmt einige Bogen Papier und schreibt drei Tage hintereinander ohne Falsch und Heuchelei alles nieder, was euch durch den Kopf geht. Schreibt, was ihr denkt von euch selbst, von euern Weibern, von dem Türkenkrieg, von Goethe, von Fonks Kriminalprozeß, vom Jüngsten Gerichte, von euern Vorgesetzten – und nach Verlauf der drei Tage werdet ihr vor Verwunderung, was ihr für neue, unerhörte Gedanken gehabt, ganz außer euch kommen. Das ist die Kunst, in drei Tagen ein Originalschriftsteller zu werden!

Ludwig Börne
Die Kunst, in drei Tagen
Originalschriftsteller zu werden

Allen Lesern ins Stammbuch (44)

»Ich – nenne mich Rezensent H … und bin ein Ästhetiker, und diese Herren – sind Originalgenies, die Sie nicht durch jene verwegne Benennung beleidigen sollten – Sie, der Sie ohne die mindeste Originalität gerade auf zwei Beinen wie alle Menschen einhergehn!« –
»Und was ist Ihre Verrichtung bei diesen –«
»Ich habe acht«, fiel ihm der Rezensent ein, »und sobald ein neuer Stern an dem Horizonte der Originalgeister aufsteigt, so verkündige ich mit lauter Stimme: Sehet, abermals ein Originalgenie, abermals ein Stern der ersten Größe!«

Johann Karl Wezel
Silvans Bibliothek